Hochzeit im Herrenhaus
besonderes Thema, das ich mit dir erörtern will.”
“Komm zu mir, wann immer du willst”, schlug er nur vor. “Heute werde ich fast den ganzen Nachmittag in der Bibliothek verbringen.”
Unglücklicherweise beschloss Annis, erst einmal zwei Briefe zu schreiben, bevor sie mit Deverel über ihre Rückkehr nach Leicestershire in der nächsten Woche sprach. Danach teilte Dunster ihr mit, Seine Lordschaft habe einen Besucher empfangen. Deshalb wollte sie sich die Wartezeit verkürzen, indem sie die Einladung annahm, die sie am Vortag erhalten hatte.
Der Märznachmittag war erstaunlich warm. Sie machte sich darum nicht erst die Mühe, ihren Umhang zu holen, bevor sie das Haus verließ. Für den kurzen Weg zum Stall würde ihr Wollschal sicher genügen. Wilks begrüßte sie erfreut. Offenbar hatte er nicht erwartet, sie würde sein Angebot, ihr die Pferde zu zeigen, schon so bald annehmen.
Während des Rundgangs wies er bei jedem Tier auf dessen Vorzüge hin. Mit einer Ausnahme – wortlos ging er an einem gesattelten Pferd vorbei.
“Gehört dieser Hengst etwa dem Besucher Seiner Lordschaft?”, fragte Annis.
“Wäre mein Herr jemals so unvernünftig, so einen protzigen Gaul zu erwerben, würde ich sofort den Dienst in seinem Stall quittieren und für den alten Colonel Hastie arbeiten! Der hat mich oft genug gedrängt, den Master zu verlassen. Niemals kommt er hierher, ohne dass er mich fragt, ob ich mich anders besonnen hätte.”
“Und wem gehört dieses Pferd?”
“In dieser Gegend gibt’s nur einen Gentleman, der so ein auffälliges Biest reiten würde – Mr. Charles Fanhope. Sein neuer Reitknecht, Jack Fletcher, kann einem nur leidtun. Oft genug beklagt er sich über seinen anspruchsvollen Herrn, wenn er abends in die Taverne geht. Aber er ist ein guter Junge, und er nimmt’s gelassen. Schade, dass er keine bessere Stellung findet … Im Krieg gegen Napoleon hat er seinem Land tapfer gedient, in einem dieser neumodischen Regimenter – im Rifle Regiment. Der kann gut mit Waffen umgehen. Sicher wäre er ein fabelhafter Wildhüter. Darüber müsste ich mal mit dem Master reden. Aber Seine Lordschaft will sicher nicht beschuldigt werden, er würde Dienstboten von den Fanhopes weglocken, nicht wahr, Miss?”
“Wohl kaum.” Als er verlegen den Blick senkte, ahnte sie, dass er seine Worte bereute. Offenbar hatte er zu viel gesagt. Und so wechselte sie hastig das Thema und fragte, welches Pferd sich für eine etwas nervöse junge Dame eignen würde.
“Heiliger Himmel, meinen Sie etwa sich selber, Miss?”
“Nein, ich denke an Miss Louise.”
Verständnisvoll nickte er, denn er wusste Bescheid über den Unfall, bei dem sich die arme Louise vor zwei Jahren das Schlüsselbein gebrochen und der ihre Angst vor Pferden verursacht hatte. “Am besten fängt sie mit Miss Sarahs grauer Stute an. Unsere Herrin reitet nur noch selten aus. Und ein sanfteres Tier kann es gar nicht geben.”
“Welches Pferd würden Sie mir empfehlen, Mr. Wilks? Natürlich würde Louise auf meiner Begleitung bestehen. Also darf es kein zu lebhaftes Tier sein. Nicht dass ich etwas dagegen einzuwenden hätte – aber ich möchte Miss Louise nicht erschrecken. Und so brauche ich ebenfalls ein sanftmütiges Lamm.”
“Da habe ich genau das Richtige für Sie, Miss. Zur Sicherheit sollte ein Stallbursche mit Ihnen ausreiten. Am besten werde ich diese Pflicht selber übernehmen, das würde der Master wünschen.”
Daran zweifelte Annis, doch sie hatte nichts gegen Wilks’ Gesellschaft bei einem Ausritt einzuwenden. Natürlich würde sie die Ländereien nicht verlassen – zumindest nicht, bevor Louise ihre Angst halbwegs überwunden hatte. Und so kündete sie an, am nächsten Morgen einen Dienstboten in den Stall zu schicken und die Pferde satteln lassen. Dann wanderte sie durch den Park, da der Besucher Seiner Lordschaft noch immer anwesend war. Also wäre es sinnlos gewesen, ins Haus zurückzukehren.
Sie wanderte einen Weg entlang, bis sie zu einer Gabelung kam und dem schmaleren Pfad folgte, der einen Hügel umrundete. Wie sie vermutete, führte er zum Herrenhaus zurück.
Nur mit halbem Ohr hörte sie Zweige hinter sich knacken, denn ihre Aufmerksamkeit galt steinernen Stufen hinter dem Haus, an deren Fuß sie eine wuchtige, in den Hang eingelassene Tür entdeckte.
Der Eiskeller! Hier war Deverel in seiner Kindheit von seinem lieblosen Vater eingesperrt worden. Sicher hatte der arme Junge verzweifelt geschrien. Gewiss, man
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