Hochzeit im Herrenhaus
gefällt, und ignorieren die schlichte Wahrheit – selbst wenn sie Ihnen ins Gesicht schaut. Nun, ich behaupte keineswegs, Miss Sarah sei die tüchtigste junge Dame auf Erden”, fuhr die Zofe hastig fort, bevor ihre erboste Herrin gegen die ungeheuerlichen Anklagen protestieren konnte. “Aber man darf ihr wohl kaum vorwerfen, sie könnte keinen Haushalt führen. Klar, manchmal ist sie ein bisschen verunsichert und macht ein gewaltiges Aufhebens um Dinge, die es gar nicht wert sind. Aber ihr tatkräftiges, gut geschultes Personal weiß ganz genau, worauf es ankommt. Also muss sie sich nicht um diese Geburtstagsfeier sorgen. Nicht einmal, wenn es ein aufwendigeres Fest wird, als es ursprünglich geplant war.”
Verblüfft hob Annis die Brauen. “Was heißt das, Eliza? Wieso soll plötzlich ein größeres Fest gefeiert werden?”
Die Zofe warf ihr einen durchdringenden, prüfenden Blick zu. Dann wandte sie sich ab und hängte zwei Kleider in den Schrank zurück. “Offiziell wurde mir nichts mitgeteilt, Miss. Nur eins kann ich Ihnen sagen – in diesem Haus wird viel geredet.”
“Dienstbotentratsch!”, meinte Annis geringschätzig.
“Nicht nur, würde ich sagen. In meiner Gegenwart halten die Leute den Mund, weil ich eine Außenseiterin bin. Trotzdem weiß ich, was Seine Lordschaft dem Butler befohlen hat. In diesem Haus sollen alle Gästezimmer hergerichtet werden. Und Dunster muss genügend Vorräte bestellen. Außerdem munkelt man, Seine Lordschaft habe erst neulich den Weinkeller inspiziert. Und das tat er angeblich noch nie, seit er den Titel des Viscounts trägt.”
“Nun, es ist
sein
Weinkeller, nicht wahr?”, betonte Annis. “Also ist es sein gutes Recht, den Weinvorrat zu sichten, wenn es ihm gefällt. Ebenso ist er berechtigt, den Geburtstag seiner Großmutter in großem Stil zu feiern.”
“Wie Sie meinen, Miss.” Das war alles, was Eliza dazu sagte, bevor sie das Zimmer verließ.
Verwirrt blieb Annis zurück und überlegte, was in Greythorpe Manor vorgehen mochte, von dem sie nichts wusste.
Am nächsten Morgen ging sie wie üblich in den Morgensalon, um zu frühstücken. Zu ihrer Überraschung saß Louise bereits am Tisch.
Normalerweise stand die junge Dame viel später auf, und vor der Ankunft ihres Bruders hatte sie es vorgezogen, das Frühstück in ihrem Zimmer einzunehmen. Danach war sie froh über jede Minute in Toms Gegenwart gewesen.
Annis hätte sich sicher über ihre Gesellschaft gefreut. Aber Louise war kein Ersatz für den Viscount, mit dem sie das Frühstück allmorgendlich genossen hatte.
O Gott, wie sie ihn vermisste … Erst vor knapp vierundzwanzig Stunden war er abgereist, und er fehlte ihr schon jetzt. Beinahe hatte sie das Gefühl, ein Teil ihrer Seele wäre ihr entrissen worden.
“Nur weibliche Gesellschaft am Frühstückstisch – welch eine angenehme Abwechslung”, log sie. “Eigentlich dachte ich, nach der Abreise Ihres Bruders würden Sie diese Mahlzeit wieder in Ihrem Zimmer einnehmen.”
“O nein”, erwiderte Louise, “ich esse sehr gern in Gesellschaft. Früher kam ich nur deshalb nicht herunter, weil Sarah lieber allein in ihrem Zimmer frühstückt, und so folgte ich ihrem Beispiel. Aber in Zukunft werde ich mich jeden Morgen zu Ihnen setzen, solange Sie noch hier sind. Heute bin ich sogar dankbar für die Abwesenheit meiner Cousine, denn ich möchte etwas mit Ihnen besprechen, das sie nicht hören soll.” Nachdem sie sich mit einem kurzen Blick vergewissert hatte, dass sie Annis’ ungeteilte Aufmerksamkeit genoss, fuhr sie fort: “An diesem Vormittag wollte ich wie üblich ausreiten. Aber Sarah erwähnte gestern, sie wolle Lady Fanhope besuchen. Angeblich liegt die Baroness fast den ganzen Tag im Bett. Muss ich meiner Cousine anbieten, sie zu begleiten – da ich bezweifle, dass Sie einen so langweiligen Zeitvertreib schätzen?”
“Ob ich es wünsche oder nicht, spielt keine Rolle. Lady Fanhope würde mich wohl kaum willkommen heißen, nachdem ich ihre Familie in solche Schwierigkeiten gebracht habe.”
“Regen Sie sich deshalb auf, Annis? Das schien mein Cousin anzunehmen. Jedenfalls empfahl er uns, in Ihrer Gegenwart nicht darüber zu reden, damit Sie nicht an jenes unglückselige Ereignis erinnert werden.”
“Wie rücksichtsvoll von Lord Greythorpe … Nein, ich rege mich nicht besonders auf. Aber es beglückt mich auch nicht, dass ich es war, die Charles Fanhopes Gaunereien aufgedeckt und seiner Familie so großen Kummer bereitet
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