Hochzeit im Herrenhaus
hat.”
“Was danach geschehen ist, darf Ihnen niemand verübeln”, betonte Louise, anscheinend eifrig bestrebt, ihre Meinung zu äußern, nachdem sich der Viscount nicht mehr in Hörweite befand. “Tom war ganz begeistert, weil Sie so scharfsinnig herausgefunden haben, warum Charles immer wieder große Summen gewann. Sogar Sarah erklärte, dass sie Ihre starken Nerven und Ihren Mut bewundert, und keine andere Frau es gewagt hätte, eine so skandalöse Szene heraufzubeschwören. Wie wir beide wissen, tut meine Cousine fast alles, um Konfrontationen zu vermeiden.” Seufzend schüttelte sie den Kopf. “Deshalb glaube ich, sie sollte nicht allein gehen, denn ich traue es Lady Fanhope durchaus zu, Sie zu verunglimpfen.”
In der Tat, es war erstaunlich, wie sehr sich Louise während der letzten Wochen zu ihrem Vorteil verändert hatte. So freimütig hätte sie früher nie gesprochen. Sogar in der Gegenwart des Viscounts hatte sie ihre Scheu abgelegt. Und Sarah musste nicht mehr mühsam nach einem Gesprächsstoff suchen, wenn sie mit ihrer jungen Cousine beisammensaß.
“Gewiss würde Sarah Ihre Begleitung begrüßen”, sagte Annis. “Unter anderen Umständen würde ich nicht zögern, mich anzuschließen. Aber im Augenblick bin ich wahrscheinlich die letzte Person, die man im Hause Fanhope sehen möchte.”
Eine Stunde später tauchte Sarah aus ihrem Schlafzimmer auf, bereits für die Ausfahrt gekleidet. Sie akzeptierte Annis’ Entschluss kommentarlos. “Und wie willst du dich während unserer Abwesenheit amüsieren? Nicht dass ich beabsichtige, den Besuch bei Lady Fanhope in die Länge zu ziehen … Dafür muss ich hier zu viele Pflichten erfüllen.”
“Sorg dich nicht um mich, Sarah”, bat Annis. “Nachdem dein Bruder abgereist ist, bin ich wieder für Rosie verantwortlich. Deverel hat sich so rührend um sie gekümmert. Jeden Tag ging er mit ihr spazieren. Sicher wird sie ihn ganz schrecklich vermissen.”
“Ja, genauso wie ich”, gestand Sarah zu Annis’ Verblüffung. “Gerade jetzt kommt mir seine Abreise sehr ungelegen. Immerhin wird die Geburtstagsfeier in drei Wochen stattfinden, und bisher ist noch nichts offiziell geregelt.”
Ihr sichtliches Unbehagen erinnerte Annis an Eliza Dishers verwirrende Andeutungen. “Wie ich gehört habe, möchte Deverel ein größeres Fest veranstalten, als es zunächst geplant war. Stimmt das?”
“Nun …” Verlegen senkte Sarah den Kopf. “Ja – nein – ich meine, ich bin mir nicht ganz sicher. Das steht noch nicht fest. Zumindest hat er bisher nichts mit mir besprochen. Auch mit niemand anderem, nehme ich an. Vielleicht glaubt er ja, dass es besser wäre, noch abzuwarten. Welch ein Pech, dass er ausgerechnet jetzt wegfahren musste! Sonst wäre alles schon organisiert worden, nichts würde in der Luft hängen … Wie soll ich denn wissen, was ich machen soll …? Oh, da ist ja Louise. Jetzt sollten wir aufbrechen.”
Hastig führte sie ihre junge Cousine zu dem altmodischen Landauer hinaus, den früher ihre Mutter benutzt hatte. Annis schaute ihr verwundert nach. Wenn Deverels Schwester auch zur Nervosität neigte – so konfus war sie ihr noch nie erschienen.
Hätte ein Fremder dieses Gestammel vernommen, würde er womöglich glauben, in manchen Generationen der Familie Greythorpe tauchten geistige Störungen auf, dachte Annis, während sie mit Rosie durch den Park wanderte. Natürlich wusste sie es besser. Die arme Frau litt immer noch unter dem lieblosen Verhalten ihres Vaters, der sie ständig kritisiert hatte. Und nun geriet sie aus der Fassung, wann immer etwas von ihrer Routine abwich – oder wenn etwas geschah, das den alten Viscount erzürnt hätte.
Aber in diesem Fall muss etwas mehr hinter Sarahs Aufregung stecken, entschied Annis. Im Gegensatz zu seinem Vater war Deverel nicht übermäßig kritisch. Offenbar hatte er seiner Schwester ein Geburtstagsfest in größerem Rahmen angekündigt, ohne sie vollends ins Vertrauen zu ziehen. Aber warum verschwieg sie die wenigen Informationen, die sie erhalten hatte?
Und wieso wollte er mich nicht einweihen, als er mich bat, vorerst hierzubleiben? Soll ich aus einem ganz bestimmten Grund im Dunkel tappen? Oder wurde er von den letzten Ereignissen veranlasst, seine Pläne zu ändern? Wenn ja – warum? Wie können die Sorgen der Fanhopes seinen Entschluss beeinflussen, eine größere Party zu veranstalten?
In ihrem Kopf drehte sich alles. So viele unbeantwortete Fragen … Zum ersten Mal
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