Hochzeit im Herrenhaus
Aber der Klang seiner Stimme erschien ihr ebenso ungefährlich wie die Schusswaffe – eher gleichmütig. Und seine Miene wirkte fast belustigt. Nun verflog ihre Furcht.
“Tut mir leid – sollte ich Sie kennen?”, erkundigte sie sich, als er sie wortlos musterte.
“Nein, Miss, Sie kennen mich nicht.” Langsam trat er näher. “Aber ich habe Sie schon mal gesehen. Am Tag Ihrer Ankunft in dieser Gegend.” Er lächelte schmerzlich. “Damals hätte ich nicht gedacht, dass ich Ihretwegen meine Stellung verlieren würde. Allzu traurig bin ich nicht darüber.”
In wachsender Neugier schaute sie ihn an. “Und warum wurden Sie entlassen?”
“Nachdem Sie Lord Fanhope vor Augen geführt hatten, wieso sich sein kostbarer Sohn eigene Dienstboten leisten konnte, fand er, Master Charles müsse auf seinen Kammerdiener und meine Wenigkeit verzichten.” Lässig hob er die breiten Schultern. “Nicht dass es mich übermäßig stören würde. Von Anfang an hat es mir nicht gefallen, für Master Charles zu arbeiten. Und der Baron war anständig genug, uns den Lohn bis zum nächsten Zahltag auszuhändigen. Außerdem gab er uns fabelhafte Empfehlungsschreiben, aus denen klar hervorgeht, dass wir unsere Stellungen nicht durch eigene Schuld verloren haben. Der Kammerdiener ist schon auf dem Weg nach London. Dort will er einen neuen Arbeitsplatz suchen. Wahrscheinlich werde ich ihm bald folgen. Hier gibt’s nicht viel zu tun. In den letzten Tagen habe ich mich umgehört. Ohne Erfolg. Aber bevor ich aufbreche, muss ich noch was erledigen – etwas, das mich sonst belasten würde.”
“Oh …” Fasziniert hob sie die Brauen, doch sie bat den Mann nicht um nähere Erklärungen. Das wäre zu indiskret gewesen. “Ich bin mir nicht sicher, aber vielleicht könnte Lord Greythorpe noch einen Dienstboten brauchen. Wenden Sie sich an seinen Verwalter.”
Leicht verärgert blinzelte sie, als er ihren Versuch, ihm zu helfen, mit schallendem Gelächter quittierte. “Großer Gott, Miss, niemals wäre ich so dreist, Seine Lordschaft um Arbeit zu bitten. Nach allem, was ich getan habe … Nein, eigentlich kam ich hierher, um mit seinem Oberreitknecht zu reden, Jeremiah Wilks. Den kenne ich seit meiner Kindheit. Und nun will ich ihm mein Herz ausschütten.”
“Habe ich Ihren Namen schon einmal gehört?”
“Wohl kaum, Miss. Wenn ich mich vorstellen darf – Jack Fletcher.”
“Ja, natürlich, Wilks hat neulich von Ihnen gesprochen. Und wenn ich mich recht entsinne, erwähnte er, Sie hätten am Krieg teilgenommen und könnten sehr gut mit einer Pistole umgehen. Außerdem erzählte er, Sie hätten einem sogenannten ‘neumodischen Regiment’ auf der Halbinsel angehört, einem Rifle Regiment.”
“Aye, Miss, das stimmt.”
Plötzlich musste sie an eine naheliegende Möglichkeit denken. “Sie sagten vorhin, Sie hätten mich am Tag meiner Ankunft in dieser Gegend gesehen. Und warum habe ich
Sie
nicht bemerkt? So leicht entgeht mir nichts. Das habe ich schon oft bewiesen, und deshalb nehme ich an, Sie
wollten
nicht beobachtet werden.”
Bevor er grinste, erschien ein wachsamer Ausdruck in seinen Augen. “Wenn es so wäre, Miss – würden Sie das verdächtig finden?”
“Vielleicht … Übrigens, heute können Sie nicht mit Wilks reden. Auch nicht in den nächsten Tagen. Er ist nämlich mit Seiner Lordschaft nach Oxford gefahren, um Ihren ehemaligen Herrn zu suchen.”
Davon hörte Fletcher offensichtlich zum ersten Mal, denn er runzelte die Stirn, bevor er verächtlich zu Boden spuckte. “Nun, dann hat’s wohl keinen Sinn, wenn ich mich noch länger hier herumtreibe, Miss.”
In diesem Moment rannte Rosie aus dem Wald. Normalerweise begegnete sie fremden Leuten äußerst vorsichtig, manchmal sogar feindselig. Aber nun wedelte sie heftig mit dem Schwanz und sprang an Fletchers Beinen hoch, um seine Aufmerksamkeit zu erregen. Sichtlich erfreut, kniete er nieder, legte seine Waffe beiseite und streichelte die Hündin.
Von ihr selbst abgesehen, kannte Annis niemanden, der Rosies Herz so schnell gewonnen hätte. Und sie sah keinen Grund, dem Instinkt des Tieres zu misstrauen – insbesondere, weil er mit ihren eigenen Gefühlen übereinstimmte. “Wie gut Sie mit Hunden umgehen können, Mr. Fletcher”, meinte sie, nachdem er den aufgeregten Spaniel beruhigt hatte. “Vermutlich gehören Sie sogar zu den Menschen, die alles tun würden, um ein Lebewesen vor Schaden zu bewahren. Natürlich mussten Sie während Ihres
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