Hochzeit in St. George (German Edition)
Morgen versprach ein strahlender, warmer Frühsommertag zu werden. Hugh und George brachen schon in der Frühe auf, um am Bach Forellen zu fangen. Hetty nahm Hermes an der Hand, um einen Spaziergang zu unternehmen. Unterwegs wollten sie weitere Steine sammeln, die dem Jungen durch ihre Form und ihre zarten Farben besonders wertvoll erschienen. Hetty hatte vor, ihm anschließend die Truhe zu zeigen, die sie am Vortag vom Dachboden geholt hatte. Richard blieb seinem Vorsatz gemäß an Catharines Seite. Sie saßen auf der kleinen Bank unter dem Apfelbaum und erzählten sich Geschichten und Erlebnisse aus ihrer Kindheit.
Gegen Mittag wurden sie von Mrs. Mellvin unterbrochen, die in Begleitung eines Fremden auf dem Weg quer über den Rasen auf sie zuging. Der Mann trug eine auffallend grün-weiß gestreifte Livree und war daher unschwer als Diener von Sir Thomas Streighton zu erkennen.
»Seine Lordschaft, der Friedensrichter, bittet darum, ihn umgehend aufzusuchen«, sagte Mrs. Mellvin auch schon. »Ich habe dem Diener gesagt, daß Sie nicht bereit sein werden, ihm Hals über Kopf zu folgen. Aber er meint, es sei von höchster Dringlichkeit…«
Der Bote verbeugte sich und überreichte Richard ein Schreiben seines Herrn. Dieser erbrach das Siegel und hielt die Karte so, daß auch Catharine den Inhalt lesen konnte. Sir Streighton ersuchte den Viscount und die Viscountess Willowby unverzüglich um ihren Besuch. Ein Grund wurde nicht genannt. Und doch schien es nicht angebracht, dieser Aufforderung nicht Folge zu leisten. Vielleicht war der Mörder in der Zwischenzeit gefaßt worden?
Nie hätten die beiden Roger de la Falaise mit dem Friedensrichter in Zusammenhang gebracht. Um so erstaunter waren sie daher, als sie eine Stunde später im Haus von Sir Streighton ankamen und den Franzosen dort vorfanden. Sie hatten den Diener aufgefordert zuwarten, während sie sich für einen Vormittagsbesuch standesgemäß umgekleidet hatten, und waren dann in Richards Kutsche seinem Pferd gefolgt.
Der Friedensrichter empfing sie bereits an der Tür zu seiner Bibliothek. »Schön, daß Sie gekommen sind. Meine liebe Viscountess, Viscount. Ich muß sagen, ich bin etwas aus der Fassung. Aber sicher werden Sie mir helfen, dieselbe wiederzufinden. Bitte nehmen Sie Platz. Ich habe Erfrischungen bringen lassen. Ich nehme an, Sie kennen den Marquis de la Falaise?«
Roger, der in einem der breiten Lehnstühle gesessen hatte, erhob sich nun und blickte mit seinem unverwüstlichen Lächeln den beiden Neuankömmlingen entgegen.
»Wir kennen den Herrn allerdings«, sagte Richard, bemüht, seiner Stimme einen gelassenen Ton zu verleihen. »Es ist jedoch zugegebenermaßen eine Überraschung, ihn hier in Ihrem Haus anzutreffen, Mylord.«
»Wir hatten gehofft, Ihr Wunsch, uns zu sehen, hänge mit der Tatsache zusammen, daß Sie den Mörder meines Schwiegervaters gefunden haben«, erklärte Catharine.
»Nein. Bedauerlicherweise nein, Mylady. Aber bitte nehmen Sie doch Platz. Bitte glauben Sie mir, wir tun alles, damit dieser Verbrecher endlich gefunden und der gerechten Strafe zugeführt wird. Ich hoffe, Sie haben mir in der Zwischenzeit den voreiligen Verdacht meiner Beamten verziehen, lieber Viscount. Eine ganz unangenehme Geschichte. Aber nicht unangenehmer als das Problem, vor dem ich jetzt stehe.« Er nahm auf dem freien Stuhl seinen Gästen gegenüber Platz und schlug grazil seine dünnen, in zartgrüne Kniehosen gekleideten Beine übereinander. Er sah nachdenklich in die Runde, die Fingerspitzen seiner schmalen Hände zu einem Dreieck zusammengepreßt. »Der Marquis hat mich heute morgen aufgesucht«, begann er schließlich, »um mir mitzuteilen, daß Sie, verehrte Viscountess, in Wahrheit seine Ehefrau seien. Natürlich habe ich dem widersprochen, doch der Marquis besteht darauf, mit Ihnen, Viscountess, vor den Traualtar getreten zu sein.«
»Sicher hat er Ihnen die Heiratsurkunde vorgelegt, Mylord«, sagte Richard.
Sir Streighton schüttelte den Kopf.
»Das ist leider nicht möglich, Sir«, meldete sich der Franzose zuWort. »Wie gerne würde ich die Urkunde vorlegen, mais hélas! Sie wurde ein Raub der Flammen, als es auf La Falaise brannte.«
»Es hat auf La Falaise gebrannt?« rief Catharine aus.
Roger nickte und machte dazu eine traurige Miene. »Ja, vor einigen Monaten, du warst gerade abgereist, ma chère, da brannte es in der Bibliothek. Jean Pierre, der Diener, du kennst ihn doch, hat eine Kerze umgeworfen. Versehentlich, wie
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