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Hochzeit kommt vor dem Fall

Hochzeit kommt vor dem Fall

Titel: Hochzeit kommt vor dem Fall Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dorothy L. Sayers
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die Höhe geschleudert zu werden. Das launische, tyrannische Geschick mußte dem Sprungtuch aber einen sehr kräftigen Ruck gegeben haben, daß es ihn gegen Ende dieses merkwürdigen, verlegenen Mahls gleich so hoch über die Welt schleuderte. Da stand er nämlich am Fenster und pfiff. Bunter, der im Zimmer herumhantierte, Sandwichs verteilte und die letzten Reste von Unordnung beseitigte, die der Weggang des Schornsteinfegers hinterlassen hatte, erkannte die Melodie. Es war dieselbe, die er am Abend zuvor im Holzschuppen gehört hatte. Nichts hätte der Situation weniger angemessen sein, nichts seinen angeborenen Sinn für Schicklichkeit tiefer kränken können; und doch erging es ihm wie dem Dichter Wordsworth: Er hörte und frohlockte.
    »Noch ein Sandwich, Mr. MacBride?«
    (Die frischvermählte Lady erfüllte zum erstenmal Gastgeberpflichten am eigenen Tisch. Seltsam, aber wahr.)
    »Nein, danke, sehr freundlich.« Mr. MacBride schluckte den letzten Tropfen Bier hinunter und wischte sich wohlerzogen Mund und Fingerspitzen mit einem Taschentuch ab. Bunter stürzte sich sofort auf den abgegessenen Teller und das leere Glas.
    »Ich hoffe, Sie haben auch schon etwas gegessen, Bunter?«
    (Man mußte an die Dienstboten denken. Es gab nur zwei Fixpunkte im Universum: den Tod und das Essen der Dienerschaft; und hier waren beide zugleich.)
    »Ja, Mylady, vielen Dank.«
    »Ich glaube, man wird nachher dieses Zimmer brauchen. Ist der Arzt noch da?«
    »Ich glaube, er hat seine Untersuchung beendet, Mylady.«
    »Eine schöne Arbeit ist das auch nicht, denke ich«, sagte Mr. MacBride.
     
    » La caill’, la tourterelle
Et la joli’ perdrix –
Auprès de ma blonde
Qu’il fait bon, fait bon, fait bon,
Auprès de ma blonde –«
     
    Mr. MacBride fuhr empört herum. Er hatte seine eigenen Vorstellungen von Schicklichkeit. Bunter machte einen Satz durchs Zimmer und versuchte die Aufmerksamkeit des entrückten Sängers auf sich zu lenken.
    »Ja, Bunter?«
    »Eure Lordschaft werden mir verzeihen. Aber im Hinblick auf den betrüblichen Anlaß –«
    »Äh – wie? O Verzeihung. Habe ich irgendwelche Töne von mir gegeben?«
    »Mein Lieber –!« Sein rasches, heimliches, erinnerungsseliges Lächeln war eine Herausforderung an sie; sie hielt ihr stand und fand den richtigen Ton für die ehefrauliche Zurechtweisung. »Die arme Miss Twitterton versucht zu schlafen.«
    »Ach ja! Entschuldigung. Wie gedankenlos von mir! Und zu alledem noch in einem Trauerhaus und so weiter.« Eine plötzliche, eigenartige Ungeduld verdüsterte sein Gesicht. »Allerdings, wenn man mich fragt, bezweifle ich, daß hier irgend jemand – ich sage irgend jemand – besonders große Trauer empfindet.«
    »Höchstens dieser Crutchley wegen seiner vierzig Pfund«, meinte Mr. MacBride. »Seinen Kummer halte ich für echt.«
    »So gesehen«, sagte Seine Lordschaft, »müßten Sie selbst der Hauptleidtragende sein.«
    » Mich bringt das nicht eine Nacht um den Schlaf«, versetzte Mr. MacBride. »Ist ja schließlich nicht mein Geld«, fügte er ehrlich hinzu. Er stand auf, öffnete die Tür und sah auf den Flur hinaus. »Ich hoffe nur, daß die da draußen sich mal ein bißchen beeilen. Ich muß ja noch nach London zurück und Mr. Abrahams Bescheid sagen. Schade, daß Sie kein Telefon haben.« Er machte eine kleine Atempause. »Wenn ich Sie wäre, würde ich mir darüber auch keine grauen Haare wachsen lassen. Nach meinem Eindruck war der liebe Verstorbene ein reichlich unangenehmer Kunde und ist kein großer Verlust.«
    Er ging hinaus und hinterließ eine etwas klarere Atmosphäre, wie wenn man die Trauergebinde entfernt hätte.
    »Ich fürchte, das stimmt«, sagte Harriet.
    »Ist auch gut so, nicht wahr?« Wimsey bemühte sich um Leichtigkeit in seinem Ton. »Wenn ich einen Mord aufkläre, kann ich allzu große Sympathie für die Leiche nicht brauchen. Private Empfindungen verderben den Stil.«
    »Aber Peter – mußt du ihn denn aufklären? Das wäre doch eine Zumutung für dich.«
    Bunter, der gerade die Teller auf ein Tablett gestapelt hatte, strebte der Tür zu. Das mußte natürlich kommen. Sollten sie es untereinander ausmachen. Er hatte seine Warnung schon an den Mann gebracht.
    »Nein, ich muß nicht. Aber ich werde wohl. Morde steigen mir in den Kopf wie Alkohol. Ich kann einfach nicht die Finger davon lassen.«
    »Nicht einmal jetzt? Das kann doch nun niemand von dir erwarten! Manchmal hast auch du ein Recht auf dein eigenes Leben. Und es ist

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