Hochzeitsstrudel und Zwetschgenglück: Roman (German Edition)
Natürlich waren unsere Hochlandrinder nicht nur dafür da, dass sie auf den Weiden ein sorgloses Leben führten. Wir züchteten die Tiere, um das hochwertige Fleisch zu verkaufen. Es war das erste Mal, seit ich wieder in Halling war, dass eines der Tiere abgeholt wurde.
»Er hatte fast drei wunderschöne Jahre hier«, sagte Willy, als der Wagen aus dem Hof fuhr. Auch ihm fiel es sichtlich schwer.
Ich nickte, konnte aber nichts mehr sagen. Es tat mir unendlich leid, aber ich war vernünftig genug einzusehen, dass das der Gang der Dinge bei uns war. Pit kam mit dem Traktor vom Feld.
»Die Frühkartoffeln sind bald soweit«, informierte er mich.
»Jetzt schon?«, fragte ich nach, obwohl es mir eigentlich egal war. Rudi ging mir nicht aus dem Kopf.
»Ja. In ein paar Tagen können wir mit der Ernte beginnen.«
»Sehr schön«, sagte ich und ging auf die Haustür zu. Da fuhr schon wieder ein Wagen in den Hof. Was war denn heute hier los?
Eine Frau stieg aus, die ich aus dem Supermarkt kannte. Sie hatte mir schon als Kind Bonbons und Eis verkauft. Rosi Fischer hieß sie, wenn mich nicht alles täuschte. Pit machte sich rasch aus dem Staub. Anscheinend hatte er keine Lust, mit seiner ehemaligen, wenn auch nur kurzfristigen Kollegin aus dem Supermarkt zu plaudern. Frau Fischer hatte ein Päckchen in der Hand. Sie kam auf mich zu, und wir begrüßten uns.
»Hanna? Du bist doch die Tochter von der Hermine, nicht wahr?«, fragte sie.
Ich nickte. »Ja.«
»Ich habe hier ein Päckchen für sie.«
»Wer schickt denn hierher Post für meine Mutter?«, fragte ich verwundert.
»Die Sache ist ein bisserl seltsam. Das Päckchen ist noch an die Adresse deiner Großeltern gerichtet.«
»Aber die sind doch schon längst tot.«
Ich schaute verdutzt auf den Aufkleber: Hermine Gratzl. Das war der Mädchenname meiner Mama, den sie seit Jahrzehnten nicht mehr trug! Aber das Päckchen sah neu aus, und auch die Anschrift war klar und leserlich und schien erst vor Kurzem darauf geschrieben worden zu sein. Das war ja wirklich seltsam.
»Ja sowas …«
Auch Willy war inzwischen neugierig geworden und kam zu uns herüber.
»Könntest du mir die Adresse von Hermine geben, dann leite ich es weiter?«, bat Frau Fischer.
»Sie können es gerne hier lassen, dann gebe ich es ihr«, bot ich an.
Sie druckste ein wenig herum. Doch dann reichte sie mir das Päckchen.
»Na gut. Ich weiß ja, dass du ihre Tochter bist. Du gibst es ihr sicher, nicht wahr?«
»Ja freilich. Sie können sich darauf verlassen.«
Was sollte ich denn schon damit machen?
»Schau, da ist ja noch die alte Postleitzahl drauf«, sagte Willy. Tatsächlich. Jetzt war ich aber schon sehr neugierig geworden.
Rosi Fischer verabschiedete sich, und ich trug das Päckchen in die Stube. Inzwischen war Fanny wach geworden und folgte mir gähnend. Ich griff nach dem Telefon und wählte die Nummer meiner Mutter.
»Hallo, Mama. «
»Hanna … Ich bin grad auf dem Weg zum Gericht.«
»Schon gut, ich möchte dich gar nicht aufhalten. Aber hier ist ein Päckchen angekommen, das ist noch an deinen Mädchennamen und die alte Anschrift adressiert … Soll ich es dir schicken?«
»Ach, das ist bestimmt irgendwas wegen einem Klassentreffen oder so … Schau doch einfach rein, und ruf mich heute Abend an.«
»Soll ich …«
»Sei mir nicht böse, Hanna, aber ich bin spät dran …«, unterbrach sie mich.
»Schon gut. Dann mach ich es auf und melde mich später.«
Als ich den Deckel des Päckchens öffnete, spürte ich plötzlich ein seltsames Kribbeln im Nacken. Ich rechnete fast damit, dass etwas aus dem Paket herausspringen würde. Doch ich war umsonst einen Schritt nach hinten getreten. Kein Springteufel kam mir entgegengeflogen.
Eingebettet in Zeitungspapier lagen eine Brotbox, eine zerkratzte Sonnenbrille, an der ein Bügel fehlte, und darüber ein zusammengefalteter Zettel. Wie seltsam! Ich nahm den Zettel und faltete ihn auf:
Diese Dinge haben wir in einem alten Rucksack am Watzmann gefunden. LG, Lisa und Andi.
Lisa und Andi? Wer war das denn? Und was hatte Mama mit einem Rucksack zu tun, den irgendjemand am Watzmann gefunden hatte? Hatte sie den irgendwann einmal dort verloren?
Ich nahm die Butterbrotdose. Plötzlich begannen meine Hände zu zittern. Etwas hielt mich davon ab, sie zu öffnen, und ich legte sie wieder zurück. Ich würde das ganze Päckchen einfach bei nächster Gelegenheit nach München bringen, und meine Mutter konnte selbst nachschauen, was da drin
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