Höchstgebot
Zeuge doch mal bitte schauen«, meinte Molendorp schließlich.
»Es ist eindeutig das Fluchtfahrzeug der Täter«, bestätigte Robert nach einem schnellen Blick auf den Nissan. »Sehen Sie die Schäden am Heck und die roten Lackreste? Das kommt alles von dem Rückstoß gegen meinen Renault. Ich erkenne auch diese albernen Aufkleber wieder. Sehen wir nach, ob der Magritte noch da ist!« Er näherte sich der Autotür.
»Moment, mein Herr«, sagte van Duin.
»Wenn das Gemälde im Wasser lag, zählt jede Minute«, erklärte Robert und ging weiter.
»Stehen bleiben«, rief ihm jetzt Commissaris Molendorp scharf in den Rücken. Robert hob die Arme in die Höhe und drehte sich um. »Wenn Sie die Verantwortung dafür übernehmen.«
»Das brauchen wir nicht«, erklärte Weber trocken. »Wir haben sie schon.«
»Touché«, antwortete Robert.
»Darf ich Sie mal eben sprechen?«, fragte Molendorp Katja. Sie traten ein paar Schritte beiseite und Robert verfolgte, wie Katja nach einer kurzen Frage Molendorps ausführlich und mit vielen Gesten antwortete. Schließlich zuckte der Niederländer mit den Schultern und sie kehrten zu den anderen zurück.
»Wären Sie so nett, der Kollegin noch einmal die wichtigsten Fakten zusammenzufassen?«, bat er van Duin.
»Er darf zuhören?«, fragte der und wies auf Robert.
»Das nimmt die Kollegin auf ihre Kappe«, antwortete Molendorp kurz.
»Vorgestern Nachmittag meldete sich auf der Wache in Visé ein Angestellter der Zementfabrik. Er arbeitet da oben.« Der Belgier wies auf einen Kran, der im hinteren Teil des Geländes stand. »Er gab an, dass zwei Männer einen grünen Geländewagen in den Kanal geschoben hätten und dann mit einem älteren Mercedes S-Klasse, Farbe Mint metallic, davongefahren seien. Der Mercedes hätte schon am Tag vorher dort gestanden.«
»Warum wurde der Wagen erst heute geborgen?«, fragte Katja.
»Junge Frau, ich würde sagen ›schon heute‹. Der Kanal ist der Lieblingsparkplatz der belgischen Unterwelt mitsamt ihrer niederländischen und deutschen Freunde. Beim letzten Großreinemachen vor drei Jahren haben wir sechshundert Autos aus der Maas und dem Kanal rund um Lüttich heraufgeholt.«
»Außerdem ein halbes Dutzend Leichen und das Waffenarsenal eines Söldnerheers«, ergänzte sein Kollege. »Als aber gestern Abend die Nachricht des EPICC über den Gemälderaub an uns weitergeleitet wurde, haben wir das Verfahren beschleunigt. Wir fahnden auch nach dem Mercedes. Wird bestimmt nicht lange dauern. Der Kranführer hat immerhin das halbe Kennzeichen ablesen können.«
»Ziemlich gute Augen, der Mann«, meinte Katja.
»Und ein noch besseres Fernglas«, ergänzte van Duin.
»Was sagt er über die Täter?«
»Es waren zwei. Beide um die dreißig Jahre plus/minus fünf. Der eine kurze, strubbelige, blonde Haare, der andere kurzes, eher dunkles, glattes Haar. Größe einsachtzig bis einsneunzig, beide schlank. Sie trugen schwarze Kleidung, vermutlich Jeans.«
»Naja, besser als gar nichts«, meinte Katja.
Robert räusperte sich. »Ich will ja die Ermittlungen nicht behindern. Aber vielleicht verrottet da drüben gerade ein 43-Millionen-Euro-Gemälde. Worauf warten wir? Dass der Wagen trocknet?«
»Auf die da warten wir«, gab der belgische Inspekteur unbeirrt freundlich zurück und zeigte auf einen Kleinbus, der gerade auf die Zubringerstraße zur Fabrik abgebogen war und fünf Männer und Frauen in weißen Overalls zum Fundort brachte. Die Spurensicherung.
»Und Sie gehen jetzt mal ein bisschen spazieren, Herr Patati«, ordnete Molendorp an. »Wenn wir etwas finden, rufen wir Sie.«
Katja nickte Robert begütigend zu. Der versenkte seine Hände tief in den Hosentaschen und wandte sich ab. Genervt schoss er einen Kiesel in den Kanal, ging ein paar Schritte, blieb unschlüssig stehen und schaute über die weite Betonfläche Richtung Lüttich. Der Wind fegte Sand von der Halde herüber.
Zwei Tage im Wasser. Ihn grauste vor dem Gedanken. Aber würde jemand so blöd sein, diese Beute den Fischen vorzuwerfen? Es sei denn, den Typen war die Sache nach der Zugkatastrophe plötzlich zu heiß geworden. Aus einem schweren Raub war immerhin Mordversuch und dutzendfach versuchter Totschlag geworden.
Robert setzte sich an das Ufer und schluckte ein paar Tropfen Tramadol.
Ein Tanker zog gemächlich an ihm vorüber. Der Himmel war wolkenlos. Es würde ein ziemlich schöner Tag werden, bestimmt gute vierundzwanzig Grad, wenn es so weiterging. Goldener Herbst.
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