Höchstgebot
ein Rätsel, warum sich die Brandstifterin nicht retten konnte. Sie hätte nur die Tür öffnen und hinausgehen müssen. Im Bericht stand, dass sie den Schlüssel noch in der Hand gehalten hatte. Hatte Sybille Wenger die Geschwindigkeit unterschätzt, mit der die Flammen um sich griffen? Oder hatte sie Selbstmord begangen? Micky hätte gerne die Tatortfotos gesehen, um zu prüfen, in welcher Körperhaltung die Leiche aufgefunden worden war. Ob Wenger nur das Verpackungsmaterial für den Brand verwendet hatte? Micky schob mit einem Fuß den Schutt beiseite. Zwischen den Glasscherben sah sie ein Stück Metall blinken. Sie hob es auf und hielt es gegen das Licht, das durch das offene Tor hereinfiel. Es sah aus wie ein Stück enger Maschendraht, der um einen geraden Draht gewickelt war. Sie blickte um sich und erkannte, dass der Draht zu einer Steckdose in der Wand führte. Sie hielt den Gegenstand hoch, sah jetzt auch die Reste einer Fassung und schloss daraus, dass es sich um eine zerstörte Arbeitslampe handeln musste. Sie legte die Drahtreste wieder hin und wischte andere Bruchstücke zur Seite. Ihr Fuß blieb am Rand eines Metallgitters hängen. Sie leuchtete mit der Taschenlampe in den Hohlraum darunter. Das Licht spiegelte sich in flachem Wasser wider. Ein Abfluss. Micky schob das Gitter beiseite, fuhr mit den Fingern über die jetzt freiliegenden Ränder und wischte dabei eine dicke Rußschicht weg. Auch unter dem Gitter hatte also der Brand gewütet, was bemerkenswert war. Der Schmutz hätte ja von den Tausenden Litern dreckigen Löschwassers stammen können, die hindurchgespült worden waren, aber die PVC-Verbindungsringe waren geschmolzen und schwarz. Das wies auf die Verwendung von Brandbeschleuniger hin, mit dem zusammen die Flammen heruntergeflossen waren. In diesem Fall musste auch der Siphon verformt sein … sie bückte sich noch tiefer und tastete im Wasser herum.
»He, was machen Sie da?«
Eine hohe, aufgeregte Männerstimme dicht neben ihrem Ohr schreckte sie auf. Zugleich packten zwei Hände ihre Schultern und drückten ihren Kopf weiter hinunter. Sie stieß mit der Stirn gegen den Betonrand des Abflusses. Micky versuchte, auf den Knien wegzukriechen, aber der Griff war so stark, dass sie sich nicht einmal umdrehen konnte. Der Mann fasste sie mit einer Hand im Nacken und stemmte ihr das Knie in den Rücken.
»Mund halten!«, schnauzte er. »Sollten Sie versuchen zu fliehen, werde ich Gewalt anwenden.«
Der Mann drückte sie tiefer in den Abfluss hinein, bis ihr Gesicht fast die Wasseroberfläche berührte.
»Ist ja schon gut!«, rief sie.
Dann zerrte er sie an den Schulterpolstern ihrer Jacke hoch. Kaum stand sie, schlang er seine Arme in einem eisernen Griff um ihren Brustkorb, sodass sie kaum noch Luft bekam.
»Micky Spijker«, keuchte sie. »Ich bin im Auftrag von …«
»Ruhe! Ich rufe jetzt die Polizei!«
Mit einer Hand tastete er in seiner Innentasche herum, mit der anderen klemmte er Micky fest. Er keuchte ihr in den Nacken. Sie roch seinen Atem, Tabak und Käse. Das war vollkommen verrückt, sie erledigte bloß ihre Arbeit und wurde von einem aggressiven Verrückten festgehalten.
Der Mann presste ihr noch immer einen Arm fest gegen den Körper, doch es gelang ihr, seine Hosenbeine zu fassen. Sie schob das Becken so weit wie möglich nach vorn, zog den Mann mit einem Ruck auf sich zu und stieß ihm zugleich den Hintern in den Schritt. Er stöhnte auf, ließ sie aber nicht los. Sie warf den Kopf nach hinten und traf ihren Peiniger mit voller Wucht im Gesicht. Er stieß einen Schrei aus und sein Griff lockerte sich ein wenig. Micky ballte die linke Hand zur Faust, umfasste diese mit der rechten und drehte sich blitzschnell um. Dann stieß sie den linken Ellbogen gegen den Kopf des Mannes. Sein Handy fiel klappernd zu Boden. Als Micky einen Schlag in sein Gesicht antäuschte, hob er abwehrend die Hände. Sofort trat sie einen Schritt beiseite und setzte den rechten Fuß in seine Kniekehle. Sie stemmte sich dagegen und der Mann sank nach hinten über, immer noch die Hände vors Gesicht geschlagen. Micky pflanzte ihm den Absatz ihres Schuhs in den Solarplexus.
»Carsten Roeder hat eine Rundmail verschickt«, keuchte sie. »Ich bin in seinem Auftrag hier, um den Brand zu untersuchen.«
»Sie sind eine Einbrecherin und ich habe Sie auf frischer Tat ertappt!«, jammerte der Mann hinter seinen Händen hervor.
Micky hob das Handy vom Boden auf. »Überzeugen Sie sich selbst.«
Der Mann
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