Höchstgebot
Robert nach, als wäre er von allen guten Geistern verlassen. Er hatte ihr Verhör völlig aus dem Rhythmus gebracht.
»Sagen Sie, gehört die hier Ihnen?«, unterbrach Robert erneut, als er kurz darauf schon wieder zurückkehrte. Er hielt mit spitzen Fingern und einem Taschentuch eine Tube schwarzer Ölfarbe vor Hinrichs Gesicht.
»Ja, von wem sollte sie sonst sein?«
»Frau Hellriegel möchte sie gerne als Beweisstück mitnehmen. Sie wissen doch: Weil es die Farbe ist, unter der Sie die Punkte mit den Primzahlen auf dem Magritte versteckt haben.«
Hinrichs, der immer weiter in sich zusammengesunken war und dessen Oberkörper ganz leicht zu kreisen begonnen hatte, sah Robert jetzt nur noch mit leerem Blick an.
Das altertümliche grüne Tastentelefon neben Hinrichs klingelte. Es schien, als müsste sich Hinrichs erst wieder mühsam aus einer tiefen Trance emporarbeiten, ehe er abheben konnte. Er meldete sich mit leiser Stimme, sagte dann zwischen längeren Pausen nur ab und zu »Ja« und legte wieder auf. Einige Male strich er verloren mit den Händen über seine Oberschenkel, dann erhob er sich.
»Ich muss ins Labor. Frau Spijker wünscht, mich zu sprechen.«
»Oh, da komme ich mit«, sagte Katja. »Frau Spijker und ich arbeiten in dieser Angelegenheit eng zusammen.«
»Dasselbe gilt für mich«, schloss sich Robert schnell an.
24
Während Katja durch die Aachener Innenstadt fuhr und dabei an der Stoßstange von Hinrichs Audi klebte, rief Robert Micky an und erstattete ausführlich Bericht über das Gespräch mit Ingrid Roeders Stellvertreter.
»Du darfst ihn dir ausborgen«, sagte er. »Aber wir sind noch nicht fertig mit ihm.«
»Ich halte ihn fest, solange ich ihn brauche«, erwiderte Micky. »Wo bleibt die internationale Solidarität unter Freiberuflern? Heute arbeite ich undercover als Ermittlerin der Nationalen Untersuchungsbehörde für Pyrotechnik. Es geht um meine Kohle, Patati!« Dann berichtete sie ihrerseits von ihrem Gespräch mit Michael Delgado. »Es gibt so viele ungeklärte Fragen, dass die Versicherung sich weigert, zu zahlen«, schloss sie. »Deswegen wird es Zeit, dass Spijker in Aktion tritt. Hinrichs ist mein nächstes Zielobjekt.«
»Warum legst du nicht Ingrid Roeder auf die Streckbank?«, fragte Robert.
»Das ist sinnlos, sie hat zu viel zu verlieren«, antwortete Micky. »Außerdem passt es ihr ganz gut, dass die Forschungs- und Entwicklungsabteilung in Rauch aufgegangen ist. Dadurch kann sie die Anteile von Mutter Roeder wahrscheinlich für ein Trinkgeld übernehmen.«
»Der arme Hinrichs muss heute die ganze Suppe auslöffeln, die andere eingebrockt haben«, sagte Robert.
»Sag Micky mal, sie soll heute die Psychologie zu Hause lassen«, rief Katja so laut, dass Micky sie auch ohne Freisprechanlage hören konnte. »Einen reifen Apfel kann man nicht vom Baum quatschen. Da muss man einfach nur kräftig am Stamm schütteln!«
Auf der kurzen Fahrt zum Labor war Jens Hinrichs zu dem Schluss gekommen, dass es besser für ihn sein würde, bei den Ermittlungen zwar zu kooperieren, dabei aber so passiv wie irgend möglich zu bleiben. Micky durchschaute seine Strategie sofort. Sie standen im Halbdunklen, im Gebäude hing noch immer beißender Brandgeruch. Über ein Notaggregat wurde gerade so viel Strom produziert, dass ein paar Neonröhren ein kaltes Licht verbreiteten.
»Mich überrascht gar nichts mehr«, antwortete er mit einem Allgemeinplatz, als sie sich erkundigte, ob er gewusst habe, dass alle gespeicherten Daten im Serverraum vernichtet worden waren.
»Tatsächlich nicht?«, fragte Micky beiläufig.
»Ich bin Leiter der Entwicklungsabteilung«, erwiderte er. »Die Speicherung von Kopien fällt in die Zuständigkeit der IT-Abteilung und die befindet sich bei Roeder Ost . Unsere Abteilung hat kaum etwas damit zu tun.«
»Wussten Sie davon, ja oder nein?«, wiederholte Micky und schlug mit den Fingerknöcheln gegen den leeren Schrank, in denen die Disc-Arrays aufbewahrt worden waren.
Robert und Katja blickten überrascht auf.
»Ja, mir ist so etwas zu Ohren gekommen«, gab Jens Hinrichs zu.
»Das muss ein schwerer Schlag für Sie gewesen sein«, erwiderte Micky. »So viele Monate, vielleicht sogar Jahre der Forschung – alles umsonst.«
»Es gibt Spezialfirmen, die verloren gegangene Daten wiederherstellen können«, sagte Hinrichs. »Also warte ich jetzt erst einmal in Ruhe ab.« Er blickte sich um, als erwartete er Beifall von Katja oder Robert.
»Digitale Daten
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