Höhenangst
schnell.
Wahrscheinlich war er leicht betrunken. Er wechselte zwischen verschiedenen Programmen hin und her. Wenn er sich eine Sendung ein paar Minuten lang angesehen hatte, schaltete er um, schaute wieder ein paar Minuten, schaltete erneut um.
Mir fiel die Zeitschrift ein, die ich mir von Bill Levenson ausgeliehen hatte. »Hast du das gesehen?« fragte ich und hielt die Zeitschrift hoch. »Schon wieder was über dich.«
Er drehte sich kurz um, sagte aber nichts. Ich kannte die Geschichte des Chungawatdesasters inzwischen fast auswendig, wollte den neuen Artikel aber im Hinblick auf das lesen, was ich über Adam, Françoise und Greg erfahren hatte, um zu sehen, ob sich dadurch ein anderes Bild ergab. Ich ließ mich also am Küchentisch nieder und blätterte die Zeitschrift ungeduldig durch. Sie enthielt seitenweise Werbung für Laufschuhe, Herrendüfte, Fitneßgeräte, italienische Anzüge, lauter Männerkram.
Dann war ich endlich bei dem Artikel angelangt, einem langen Bericht mit dem Titel: »Die Todeszone: Träume und Tragödien in 8500 Metern Höhe.«
Der Artikel war länger und viel detaillierter als der von Joanna. Der Autor, Anthony Kaplan, hatte mit allen Überlebenden der Expedition gesprochen, einschließlich Adam selbst, wie ich zu meiner Überraschung feststellte.
Wieso erzählte er mir diese Dinge nie? Es mußte sich um eines jener langen Telefonate oder eine jener Besprechungen in diversen Bars gehandelt haben, die während der letzten ein, zwei Monate so viel von Adams Zeit in Anspruch genommen hatten.
»Ich habe gar nicht gewußt, daß du mit diesem Journalisten geredet hast«, sagte ich und hoffte, dabei möglichst unbeschwert zu klingen.
»Wie heißt er?« fragte Adam, der sich gerade nachschenkte.
»Anthony Kaplan.«
Adam verzog das Gesicht und nahm einen Schluck von seinem Whisky.
»Ein richtiger Blödmann«, sagte er.
Ich fühlte mich hintergangen. Häufig war es so, daß man alle möglichen banalen Details über das Leben von Freunden oder Kollegen kannte, aber nichts über ihr leidenschaftliches Innenleben erfuhr. Was Adam betraf, war das genau umgekehrt: Ich kannte seine Phantasien und Träume, wußte aber nur ganz bruchstückhaft, wie er seine Tage verbrachte. Deshalb hungerte ich nach Informationen über ihn. Fasziniert las ich von seiner Fähigkeit, die Ausrüstung anderer Leute zu tragen, wenn diese durch die Höhe bereits so beeinträchtigt waren, daß sie sich nur noch langsam dahinschleppen konnten. Alle redeten von seiner Achtsamkeit, seiner Umsicht, seiner Fähigkeit, einen klaren Kopf zu behalten.
Der Artikel enthielt ein neues Detail über Adam. Eine weitere Expeditionsteilnehmerin, eine Innenarchitektin namens Laura Tipler, erzählte Kaplan, sie habe auf dem Weg zum Basislager ein paar Tage lang das Zelt mit ihm geteilt. Darauf hatte Greg also angespielt. Dann, so berichtete sie weiter, sei er ohne großes Trara wieder ausgezogen. Wahrscheinlich, um seine Kräfte zu schonen.
Ich hatte damit kein großes Problem. Das Ganze war auf eine sehr erwachsene Weise und in gegenseitigem Einvernehmen abgelaufen, so daß keiner der Beteiligten dem anderen etwas nachtrug. Tipler äußerte gegenüber Kaplan, es sei damals offensichtlich gewesen, daß Adam mit seinen Gedanken bereits bei anderen Dingen war – der Planung des Aufstiegs, der Einschätzung möglicher Risiken und der Fähigkeit der einzelnen Expeditionsteilnehmer, damit umzugehen –, aber sein Körper habe ihr genügt. So ein Miststück. Sie schilderte Kaplan diese Episode fast beiläufig, so als wäre sie eine im Prospekt angebotene Zusatzleistung gewesen. Hatte Adam eigentlich mit jeder Frau geschlafen, die ihm im Lauf seines Lebens über den Weg gelaufen war? Ich fragte mich, wie er wohl damit umgegangen wäre, wenn ich ein solches Sexleben geführt hätte.
»Zwanzig Fragen«, sagte ich. »Wer ist Laura Tipler?«
Adam überlegte einen Moment und lachte dann hart.
»Die Frau war eine Katastrophe. Sie hat die ganze Expedition aufgehalten.«
»Du hast das Zelt mir ihr geteilt. Behauptet sie zumindest.«
»Was willst du mir damit sagen, Alice? Was willst du jetzt von mir hören?«
»Nichts. Mir fällt bloß auf, daß ich manche Sachen immer erst aus der Zeitung erfahre.«
»Wenn du glaubst, daß du etwas über mich erfährst, indem du diesen Mist liest, täuschst du dich.« Er wirkte verärgert.
»Warum gibst du dich überhaupt mit so was ab? Wieso stocherst du ständig in meiner Vergangenheit herum?«
»Ich
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