Höhenangst
stochere nicht herum«, antwortete ich vorsichtig.
»Ich interessiere mich für dein Leben.«
Adam nahm einen weiteren Schluck Whisky.
»Ich will aber nicht, daß du dich für mein Leben interessierst. Ich will, daß du dich für mich interessierst.«
Ich sah ihn forschend an. Wußte er etwas? Aber er hatte seine Aufmerksamkeit bereits wieder dem Fernseher zugewandt und schaltete von Programm zu Programm, zap-zap-zap.
Ich las weiter. Ich hatte gehofft, oder gefürchtet, daß der Artikel auch Einzelheiten über Adams Trennung von Françoise und eventuelle Spannungen zwischen ihnen enthalten würde, aber Kaplan erwähnte nur kurz, daß sie lange Zeit ein Paar gewesen seien. Abgesehen davon kam Françoise in dem Artikel kaum mehr vor. Erst gegen Ende, nach ihrem Verschwinden, war wieder von ihr die Rede. Mich ließ der Gedanke nicht los, daß die beiden Frauen, die Adam zurückgewiesen hatten, gestorben waren. Konnte es sein, daß sich Adam im Fall von Françoises Gruppe nicht soviel Mühe gegeben hatte, sie zu retten, wie bei den anderen? Aber dieser Verdacht wurde rasch durch Kaplans Beschreibung der Verhältnisse während des Unwetters auf dem Berg entkräftet. Sowohl Greg als auch Claude Bresson waren nicht mehr einsatzfähig gewesen. Das Bemerkenswerte an der Sache war nicht, daß fünf Teilnehmer der Expedition gestorben waren, sondern daß überhaupt jemand überlebt hatte, und das war einzig und allein den Bemühungen Adams zu verdanken, der sich immer wieder in das Unwetter hinausgewagt hatte. Trotzdem nagte dieser Verdacht weiter an mir, und ich fragte mich, ob das nicht die Gelassenheit erklärte, mit der er von diesem Alptraum erzählt hatte.
Adam war bei dem Interview wie immer schweigsam geblieben, aber irgendwann hatte ihn Kaplan gefragt, ob er von der großen romantischen Tradition britischer Forscher wie Captain Scott angetrieben werde. »Scott ist ums Leben gekommen«, lautete Adams Antwort. »Und seine Männer mit ihm. Mein Held ist Amundsen. Er ist bei seiner Südpolexpedition genauso penibel vorgegangen wie ein Anwalt beim Verfassen eines Schriftsatzes. Die eigentliche Schwierigkeit besteht darin, sicherzustellen, daß die Knoten in den Seilen halten und man seine Leute wohlbehalten zurückbringt.«
Ausgehend von diesem Zitat kam Kaplan auf die Knoten zu sprechen, die nicht gehalten hatten. Er wies darauf hin, daß das grausame Paradoxon des Chungawatdesasters darin bestand, daß Greg McLaughlin gerade wegen der von ihm selbst entwickelten innovativen Methode keine Chance hatte, sich vor seiner Verantwortung zu drücken, was die Folgen der Expedition betraf. Claude Bresson war für das rote Seil zuständig gewesen, Adam für das gelbe, und Greg hatte die Verantwortung für das blaue Seil übernommen, jenes Seil, das die Expedition über den Gemini Ridge bis zu dem Paß unterhalb des Gipfels hinaufführte.
Es war so schrecklich einfach, aber um es noch einfacher zu machen, zeigte ein detailliertes Diagramm den Verlauf des blauen Seils auf dem westlichen Grat und die Stelle, wo es sich gelöst hatte, so daß die eine Gruppe der Bergsteiger das Seil nicht mehr gefunden hatte und entlang des östlichen Grats in den Tod gestolpert war. Der arme Greg. Ich fragte mich, ob er wohl schon von diesem neuen Artikel wußte.
»Der arme Greg«, sagte ich laut.
»Was?«
»Ich habe gesagt: ›Der arme Greg.‹ Jetzt steht er schon wieder im Rampenlicht.«
»Diese Aasgeier«, sagte Adam bitter.
Insgesamt unterschied sich Kaplans Bericht kaum von dem Joannas’ und Klaus’ Buch, auch wenn letzterer das Ganze aus einer etwas persönlicheren Perspektive geschildert hatte. Ich ging den Artikel ein zweites Mal durch und achtete bewußt auf eventuelle Unterschiede.
Das einzige, worauf ich dabei stieß, war eine triviale Berichtigung. Laut Klaus war der Bergsteiger, der am nächsten Morgen noch lebend gefunden worden war und
»Help! Help!« gemurmelt hatte, Pete Papworth gewesen.
Kaplan hatte die Aussagen aller Beteiligten verglichen und festgestellt, daß Papworth offenbar doch schon in der Nacht gestorben und es Tomas Benn gewesen war, den man am Morgen sterbend vorgefunden hatte. Als ob das jetzt noch eine Rolle spielte. Abgesehen davon stimmten die Berichte in allen Punkten überein.
Ich ging zu Adam, ließ mich auf der Lehne seines Sessels nieder und wuschelte ihm durchs Haar. Er reichte mir seinen Drink, und ich nahm einen Schluck.
»Macht es dir noch sehr zu schaffen, Adam?«
»Was?«
»Das
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