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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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Körper fühlte sich an, als sei er schwer und träge und könnte niemals mehr vor Lust erschauern. Ich schloß die Augen, weil ich seinen prüfenden Blick nicht länger ertragen konnte. Er starrte mich unverwandt an. Was sah er in meinem Gesicht? Was wußte er?
    »Ich werde dich heute abend zum Essen ausführen«, sagte er.
    »Aber vorher bringe ich dich nach Hause, damit ich dich vögeln kann.«
    »Du hast wohl schon alles genau geplant«, sagte ich und lächelte fügsam.
    »Stimmt. Bis ins letzte Detail, meine liebe Alice.«

    37. KAPITEL
    Ich hatte nicht protestiert, als er den Blister genommen und die kleinen gelben Pillen eine nach der anderen ins Klo hatte fallen lassen. Wenn mir jemand ein halbes Jahr zuvor gesagt hätte, daß ich zulassen würde, daß mein Liebhaber – mein Mann – ohne mein Einverständnis mein Verhütungsmittel ins Klo hinunterspülte, hätte ich dem Betreffenden ins Gesicht gelacht. Adam hatte die letzte Pille herausgedrückt und mich dann wortlos an der Hand genommen, ins Schlafzimmer geführt und auf eine sehr zärtliche Weise mit mir geschlafen. Dabei durfte ich den Blick keine Sekunde von seinem Gesicht abwenden. Ich hatte nicht protestiert, aber während der ganzen Zeit hektische Berechnungen angestellt. Wahrscheinlich wußte er nicht, daß die Wirkung der Pille noch eine Weile anhielt. Bis sie nachließ, würden die kritischen Tage dieses Monats vorüber sein. Ich würde also nicht sofort schwanger werden, zumindest nicht in den nächsten Wochen. Mir blieb noch etwas Zeit. Trotzdem hatte ich das Gefühl, als würde er ein Kind in mich einpflanzen wollen, und alles, was ich tat, war, mich zurückzulegen und es ohne Widerrede geschehen zu lassen. Erst jetzt wurde mir so richtig bewußt, daß ich mir nie wirklich hatte vorstellen können, wie es den Frauen gewalttätiger oder alkoholsüchtiger Männer erging. Die Katastrophe kommt auf einen zu, ohne daß man es merkt, wie eine Flutwelle an einem Touristenstrand. Wenn man sie sieht, ist es meist schon zu spät, etwas dagegen zu unternehmen, und sie rollt über einen hinweg. Ich glaube, ich hatte mir viele Dinge nicht vorstellen können. Ich war die meiste Zeit meines Lebens von Katastrophen verschont geblieben und hatte nicht richtig darüber nachgedacht, wie andere Leute lebten und litten. Wenn ich auf die letzten Monate zurückblickte, schämte ich mich erneut dafür, wie leicht ich mein altes und geliebtes Leben abgestreift hatte: meine Familie, meine Freunde, meine Interessen, meine Weltsicht. Jakes Vorwurf, ich würde alle Brücken hinter mir abbrechen, hatte das Ganze waghalsig und faszinierend erscheinen lassen. Aber ich hatte auch Menschen zurückgelassen. Nun mußte ich meine Angelegenheiten in Ordnung bringen oder mich zumindest mit einer Geste der Versöhnung an die Menschen wenden, die ich vielleicht verletzt hatte. Ich schrieb meinen Eltern, daß mir bewußt sei, wie selten ich mich in letzter Zeit gemeldet hätte, aber daß ich sie trotzdem sehr liebte.
    Meinem Bruder, den ich schon seit einem Jahr nicht mehr besucht hatte, schickte ich eine Postkarte, in der ich versuchte, fröhlich und liebevoll zu klingen. Ich rief Pauline an und hinterließ eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter. Ich erkundigte mich nach ihrer Schwangerschaft und erklärte, daß ich mich sehr freuen würde, wenn wir uns bald mal wieder treffen könnten, und daß sie mir gefehlt habe. Clive schickte ich eine verspätete Geburtstagskarte. Nachdem ich tief Luft geholt hatte, rief ich auch noch bei Mike an. Er klang eher deprimiert als verbittert, schien sich aber trotzdem zu freuen, von mir zu hören. Er berichtete mir, daß er demnächst mit seiner Frau und seinem kleinen Sohn in der Bretagne Urlaub machen werde. Seinen ersten Urlaub seit Monaten. Ich verabschiedete mich von allen, auch wenn ihnen das nicht bewußt war.
    Ich hatte meine alte Welt entschlossen zugrunde gerichtet, und nun suchte ich nach einem Weg, meine neue Welt ebenfalls ins Chaos zu stürzen, damit ich anschließend aus ihr fliehen konnte. Noch immer gab es Tage – auch wenn sie mit der Zeit immer seltener wurden
    –, an denen ich mir einfach nicht vorstellen konnte, daß ich das alles tatsächlich erlebte. Ich war mit einem Mörder verheiratet, einem schönen, blauäugigen Mörder. Falls er jemals herausfand, was ich wußte, würde er auch mich umbringen, daran bestand kein Zweifel. Wenn ich versuchte, ihn zu verlassen, würde er mich ebenfalls töten.
    Er würde mich finden

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