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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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die gelben Blumen gegen die Brust gedrückt. Ich sah sein Gesicht, sein wunderschönes Mördergesicht.
    Schnell zog ich die Tür hinter mir zu, stieß den schweren Schlüssel ins Schloß und versuchte voller Panik abzuschließen. Komm schon, bitte, bitte, komm schon!
    Der Schlüssel drehte sich im Schloß. Ich riß ihn heraus und rannte zur Treppe. Ein paar Sekunden später hörte ich ihn bereits gegen die Tür hämmern. Er war stark, o Gott, er war stark genug, die Tür einzuschlagen. Er hatte sie schon einmal gewaltsam geöffnet, als er in unsere eigene Wohnung eingebrochen war, um Sherpa zu töten.
    Ich stürmte die Treppe hinunter. Einmal gaben meine Knie nach, und ich verdrehte mir den Knöchel. Aber Adam war noch nicht hinter mir her. Das Hämmern wurde leiser. Das neue Schloß hielt. Falls ich das alles lebend überstand, würde ich irgendwann eine bittere Genugtuung darüber empfinden, daß er sich selbst eine Grube gegraben hatte, indem er damals die Tür aufbrach, um unsere Katze umzubringen.
    Inzwischen war ich unten vor dem Haus angelangt. Ich rannte die Straße entlang auf die Hauptstraße zu. Erst als ich sie erreicht hatte, wandte ich rasch den Kopf, um zu sehen, ob er mir folgte. War die Gestalt, die dort in der Ferne auf mich zugelaufen kam, Adam? Im Verkehr tat sich gerade eine Lücke auf, und ich sprintete über die Hauptstraße, hätte dabei aber fast einen Radfahrer gerammt. Ich sah das wütende Gesicht des Mannes, der mir geistesgegenwärtig auswich. Obwohl ich inzwischen heftiges Seitenstechen hatte, verringerte ich mein Tempo nicht. Falls er mich einholte, würde ich laut schreien und kreischen, aber die Leute würden mich bloß für eine Verrückte halten. Kein Mensch mischt sich gern in die Angelegenheiten anderer ein. Ich glaubte, jemanden meinen Namen rufen zu hören, aber das lag wahrscheinlich nur an meiner überreizten Phantasie.
    Ich wußte, wo ich hinwollte. Es war gar nicht mehr weit.
    Nur noch ein paar Meter. Wenn ich es bloß rechtzeitig schaffte. Schon jetzt sah ich das blaue Licht, den großen Wagen. Mit letzter Kraft stürmte ich durch die Tür. Von einem Schreibtisch blickte ein Polizist mit gelangweilter Miene auf.
    »Ja?« fragte er und griff nach seinem Stift. Ich begann zu lachen.

    38. KAPITEL
    Ich saß auf einem Flur, und während ich wartete, beobachtete ich die Leute. Dabei kam es mir vor, als würde ich durch das falsche Ende eines Fernrohrs blicken.
    Menschen mit und ohne Uniform eilten geschäftig hin und her, Telefone klingelten. Wahrscheinlich hatte ich eine übermäßig dramatische Vorstellung von dem gehabt, was sich auf einem Polizeirevier in der Londoner City abspielte. Dabei wußte ich gar nicht genau, was ich eigentlich erwartet hatte. Vielleicht, daß man Prostituierte, Zuhälter und andere zwielichtige Gestalten hereinführen würde, um ihre Personalien aufzunehmen. Oder daß ich selbst in einen Raum mit einem falschen Spiegel geführt und abwechselnd von einem netten und einem fiesen Polizisten verhört werden würde. Auf jeden Fall hatte ich nicht damit gerechnet, auf einem Plastikstuhl auf dem Flur zu sitzen und allen im Weg zu sein – als wäre ich auf einer Unfallstation mit einer Verletzung erschienen, die es nicht wert war, rasch behandelt zu werden.
    Unter normalen Umständen hätte ich es faszinierend gefunden, von dieser Warte aus einen Blick auf die Tragödien anderer Menschen zu werfen, aber in meiner momentanen Situation hatte ich keinen Sinn für so etwas.
    Ich fragte mich, was Adam wohl gerade dachte und tat.
    Ich mußte mir einen Plan zurechtlegen. Es war so gut wie sicher, daß mein Gesprächspartner – wer auch immer es wäre – mich für verrückt halten und zurück in die beängstigende Welt jenseits der Mauern und Plexiglasscheiben des Polizeireviers schicken würde, wo mich ein Ungewisses Schicksal erwartete. Ich hatte das ungute Gefühl, daß meine Behauptung, mein Mann habe sieben Menschen ermordet, siebenmal unglaubwürdiger klingen würde, als wenn ich ihn eines einzigen Mordes beschuldigt hätte, was ja an sich schon unglaubwürdig genug gewesen wäre.
    Was ich mir mehr als alles andere auf der Welt wünschte, war eine Vater- oder Mutterfigur, die mir sagen würde, daß sie mir glaube und daß sie sich von nun an um alles kümmern werde, so daß ich mir keine Sorgen mehr zu machen brauchte. Aber die Wahrscheinlichkeit, daß das passieren würde, war gleich Null. Ich mußte die Sache schon selbst in die Hand nehmen. Mir fiel

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