Höhenangst
meinen Salat und spülte ihn mit dem restlichen Rotwein hinunter. Als Nachspeise bestellte ich ein Stück Zitronentorte, die angenehm cremig und säuerlich schmeckte, und einen großen Espresso.
Nachdem ich gezahlt hatte, zog ich mein neues Handy heraus und rief Claudia an. Ich erklärte ihr, daß ich aufgehalten worden sei und erst in einer Stunde wieder im Büro sein würde. Falls Adam anrief, sollte sie ihm sagen, ich sei bei einem Geschäftsessen. Ich verließ das Restaurant und nahm mir ein Taxi.
Sylvie sprach gerade mit einer Mandantin, und ihre Assistentin erklärte mir, sie habe den Rest des Nachmittags schrecklich viel zu tun.
»Sagen Sie ihr bitte, daß Alice sie in einer dringenden Sache sprechen muß und daß es nur ein paar Minuten dauern wird.«
Ich wartete im Empfangsbereich der Kanzlei und vertrieb mir die Zeit mit dem Durchblättern einiger Frauenzeitschriften vom letzten Jahr. Ich las, wie man abnahm, multiple Orgasmen erreichen konnte und Karottenkuchen machte. Nach etwa zwanzig Minuten kam eine Frau mit roten Augen aus Sylvies Büro, und ich ging hinein.
»Alice«, sagte sie und hielt mich dann ein Stück von sich weg.
»Du siehst fabelhaft dünn aus. Tut mir leid, daß ich nicht sofort Zeit für dich hatte, aber ich mußte mich seit dem Mittagessen mit einer hysterischen Geschiedenen herumschlagen.«
»Ich halte dich nicht lang auf«, sagte ich. »Ich weiß, daß du sehr im Streß bist. Ich wollte dich bloß um einen Gefallen bitten. Du brauchst dabei gar nicht viel zu tun.«
»Klar, schieß los! Wie geht es deinem prächtigen Mann?«
»Deswegen bin ich hier«, antwortete ich, während ich ihr gegenüber Platz nahm. Auf ihrem riesigen Schreibtisch herrschte Chaos.
»Hast du irgendein Problem mit ihm?«
»Sozusagen.«
»Du willst dich doch wohl nicht scheiden lassen?«
Neugierig starrte sie mich an. Ihr Blick hatte etwas Raubtierhaftes.
»Es geht wirklich nur um einen kleinen Gefallen. Ich möchte, daß du etwas für mich verwahrst.« Ich fischte den zugeklebten Umschlag aus meiner Tasche und schob ihn über den Schreibtisch. »Ich weiß, es klingt lächerlich melodramatisch, aber falls ich tot aufgefunden werde oder spurlos verschwinde, möchte ich, daß du das der Polizei übergibst.«
Verlegen sah ich sie an. Im Raum herrschte absolute Stille. Sylvies Mund stand offen. Ihre Gesicht wirkte seltsam ausdruckslos.
»Alice, Liebes, soll das ein Witz sein?«
»Nein. Hast du ein Problem damit?«
Das Telefon auf ihrem Schreibtisch klingelte, aber sie nahm nicht ab. Wir warteten beide, bis das Läuten aufgehört hatte.
»Nein«, sagte sie dann geistesabwesend. »Ich denke nicht.«
»Gut.« Ich stand auf und griff nach meiner Tasche. »Sag den anderen liebe Grüße. Sag ihnen, daß sie mir fehlen.
Daß sie mir immer gefehlt haben, auch wenn es mir anfangs nicht bewußt war.«
Sylvie blieb reglos sitzen und starrte mich an. Ich war bereits an der Tür, als sie plötzlich aufsprang und mir nacheilte. Sie legte die Hand auf meine Schulter.
»Alice, was ist los?«
»Tut mir leid, Sylvie.« Ich küßte sie auf die Wange.
»Vielleicht ein andermal. Paß auf dich auf. Und danke, daß du eine so gute Freundin bist. Damit hilfst du mir sehr.«
»Alice«, sagte sie noch einmal. Sie klang hilflos. Aber ich war schon draußen.
Um vier kam ich zurück ins Büro. Ich verbrachte eine Stunde damit, die Marketingabteilung zu instruieren, und diskutierte dann eine halbe Stunde mit der Buchhaltung über mein zukünftiges Budget. Am Ende gaben sie nach, weil sie merkten, daß ich nicht nachgeben würde.
Nachdem ich rasch die Ablage auf meinem Schreibtisch durchgesehen hatte, machte ich früher als sonst Schluß.
Wie erwartet stand Adam schon vor der Tür. Er hatte keine Zeitung dabei. Er ließ den Blick weder durch die Eingangshalle schweifen, noch sah er nervös auf die Uhr.
Er stand einfach nur da, als würde er Wache halten, den Blick geduldig auf die Drehtür gerichtet. Wahrscheinlich verharrte er seit einer Stunde in dieser Haltung.
Als ich auf ihn zuging, breitete sich kein Lächeln auf seinem Gesicht aus. Er nahm mir die Tasche ab, legte die Arme um mich und sah mir ins Gesicht.
»Du riechst nach Chlor.«
»Ich war schwimmen.«
»Und Parfüm.«
»Ein Geschenk von dir.«
»Du siehst heute sehr schön aus, Liebes. So frisch und schön. Ich kann gar nicht fassen, daß du meine Frau bist.«
Er küßte mich hart und lang. Ich erwiderte seinen Kuß und preßte mich an ihn. Mein
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