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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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allmählich.
    Im Umkleideraum trocknete ich mich rasch ab, schaffte es, meine Sachen anzuziehen, ohne daß sie in den Wasserlachen auf dem Boden naß wurden, und stellte mich dann vor den Spiegel, um mich zu schminken.
    Neben mir stand eine Frau, die ebenfalls mit Eyeliner und Wimperntusche hantierte. Wir grinsten uns an – zwei Frauen, die sich für die Welt draußen wappneten. Ich fönte mein Haar und band es anschließend zurück, so daß mir keine Locken ins Gesicht fielen. Bald würde ich sie mir abschneiden lassen. Alice würde einen neuen Look bekommen. Adam liebte mein Haar. Manchmal vergrub er sein Gesicht in meinen Locken, als wollte er darin ertrinken. Das alles schien schon so lange zurückzuliegen.
    Jene stürmische, alles andere auslöschende Dunkelheit.
    Ich würde zum Friseur gehen und mir die Haare ganz kurz schneiden lassen, damit ich diese üppige Last nicht mehr mit mir herumschleppen mußte.
    Ich kehrte nicht gleich ins Büro zurück. Statt dessen ging ich in ein italienisches Restaurant in der Nähe des Schwimmbads und bestellte ein Glas Rotwein, eine Flasche Mineralwasser und einen Meeresfrüchtesalat mit Knoblauchbrot. Dann zog ich das Briefpapier heraus, das ich an diesem Morgen erstanden hatte, und einen Stift. Als Überschrift schrieb ich in Großbuchstaben das Wort
    »Erklärung« auf das Blatt und unterstrich es doppelt. Der Kellner brachte mir den Wein. Vorsichtig nippte ich daran.
    Ich mußte jetzt einen klaren Kopf behalten.
    »Falls ich tot aufgefunden werde«, schrieb ich, »oder spurlos verschwinde, dann bin ich von meinem Mann Adam Tallis ermordet worden.«
    Der Meeresfrüchtesalat und das Knoblauchbrot wurden serviert, und der Kellner verteilte mit einer überdimensionalen Pfeffermühle großzügig schwarzen Pfeffer über meinen Teller. Ich spießte einen gummiartigen Tintenfischring auf meine Gabel und schob ihn mir in den Mund. Nachdem ich eine Weile energisch darauf herumgekaut hatte, spülte ich ihn mit Wasser hinunter.
    Dann schrieb ich alles auf, was ich wußte, wobei ich mich um eine saubere Schrift und eine möglichst klare Ausdrucksweise bemühte. Ich erklärte Adeles Tod und hielt fest, daß ihre Briefe an Adam, einschließlich des letzten, den sie kurz vor ihrem Verschwinden geschrieben hatte, in meiner Wäscheschublade unter all meinen Slips versteckt lagen. Ich berichtete von Adeles Schwester Tara, die Adam erpreßt hatte und bald darauf aus einem Kanal im Osten von London gefischt wurde. Ich beschrieb sogar den Mord an Sherpa, Seltsamerweise war es eher die Katze, weniger die Frauen, die mir am deutlichsten bewußt machte, in welcher Gefahr ich schwebte. Ich konnte mich noch genau daran erinnern, wie ich sie aufgeschlitzt in der Badewanne gefunden hatte. Bei dem Gedanken krampfte sich mein Magen erneut zusammen.
    Ich aß ein wenig von dem knusprigen Brot und trank einen weiteren Schluck Wein, um meine Nerven zu beruhigen.
    Dann legte ich detailliert dar, was auf dem Berg mit Françoise geschehen war. Ich beschrieb Françoises Bruch mit Adam, Gregs scheinbar so narrensicheres Seilsystem, die letzten Worte des sterbenden Deutschen. In Anlehnung an den Zeitschriftenartikel zeichnete ich ein Diagramm mit Pfeilen und gepunkteten Linien. Ich gab Gregs Adresse an und schrieb, er könne die Richtigkeit meiner Angaben bestätigen.
    Auf einem separaten Blatt Papier verfaßte ich ein sehr einfaches Testament. Mein gesamtes Geld hinterließ ich meinen Eltern. Meinen Schmuck sollte Paulines Baby bekommen, falls es ein Mädchen, und Pauline selbst, wenn es ein Junge wurde. Jake hinterließ ich meine zwei Bilder und meinem Bruder ein paar Bücher. Das mußte genügen. Ich besaß sowieso nicht viel, was ich vererben konnte. Ich dachte über die Menschen nach, die meine Sachen bekommen sollten, aber auf eine sehr distanzierte Weise. Als ich mir mein Leben mit Jake in Erinnerung rief, empfand ich kein Bedauern. Das alles schien schon so lange her zu sein – eine andere Welt und ein anderes Ich.
    Ich wollte die alte Welt nicht zurück, nicht einmal in meiner jetzigen Situation. Ich wußte selbst nicht so genau, was ich eigentlich wollte. In die Zukunft wagte ich nicht zu blicken. Ich war in der katastrophalen Gegenwart gefangen. Es galt jetzt, einen Fuß vor den anderen zu setzen und sich langsam durch die Gefahr zu kämpfen. Ich wollte nicht sterben.
    Ich faltete die Dokumente zusammen und steckte sie in einen Umschlag, den ich zuklebte und in meine Tasche steckte. Dann aß ich

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