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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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nicht. Wo ist mein Drink?«
    »Du hast ihn fallen lassen.«
    »Ich brauche etwas zu trinken.«
    »Nein.«
    »Ich brauche sofort etwas zu trinken.«
    Greg schwankte durch den Garten zurück ins Haus. Ich atmete schwer, hyperventilierte fast. Es dauerte ein paar Minuten, bis ich mich ein wenig beruhigt hatte. Ich mußte wieder hineingehen und mich möglichst normal benehmen. In dem Augenblick, als ich unten in die Küche trat, hörte ich einen schrecklichen Knall und rannte die Steintreppe hinauf. Im vorderen Raum herrschte Aufruhr.
    Auf dem Boden war eine Rauferei im Gange, Möbel waren umgestoßen, ein Vorhang heruntergerissen. Alles schrie durcheinander. Erst konnte ich gar nicht erkennen, wer an dem Gerangel beteiligt war, aber dann sah ich, wie Greg von einem anderen Mann heruntergezogen wurde. Es war Adam. Er hielt die Hände vors Gesicht.
    »Du verdammter Scheißkerl!« rief Greg. »Du verdammter Scheißkerl!« Dann blickte er sich um und rannte wie ein Irrer aus dem Raum. Die Haustür fiel zu.
    Weg war er. Alle schauten sich fassungslos an. Ich sah zu Adam. Über seine linke Wange zog sich ein blutiger Kratzer. Sein Auge schwoll bereits an. Sein Blick war auf mich gerichtet.
    »O Adam!« rief ich und rannte zu ihm.
    »Worum ging es überhaupt?« fragte jemand. Es war Deborah.
    »Alice, du hast mit ihm gesprochen. Was ist bloß in ihn gefahren?«
    Ich blickte in die Runde. Adams Freunde und Kollegen starrten mich fragend an. Sie waren alle verblüfft und wütend über Gregs plötzliche Attacke. Ich zuckte mit den Achseln.
    »Er war betrunken«, sagte ich. »Wahrscheinlich ist er einfach ausgerastet. Es war wohl alles zuviel für ihn.« Ich wandte mich wieder Adam zu. »Laß dich von mir verarzten, mein Liebster.«

    36. KAPITEL
    Der Pool erinnerte mich an die Schwimmbäder, die ich als Kind immer besucht hatte – feuchte, grüngeflieste Kabinen, ein schlichtes Becken zum Bahnenschwimmen, auf dessen Boden alte Pflaster lagen und kleine Haarknäuel herumwirbelten; Schilder, die einen dazu aufforderten, nicht zu laufen, nicht zu tauchen und nicht zu rauchen; schlaffe Wimpel unter flackernden Neonröhren. In der Damenumkleidekabine sah man Frauen in allen Formen und Größen. Es war wie eine Zeichnung aus einem Kinderbuch, die die Vielfalt des menschlichen Körpers illustrierte: Orangenhauthintern und geäderte Hängebrüste, hervorstehende Rippen und knochige Schultern. Bevor ich in meinen Badeanzug schlüpfte, warf ich einen Blick auf mein Spiegelbild und erschrak selbst über mein ungesundes Aussehen. Warum war mir das bis jetzt nie aufgefallen? Ich setzte Bademütze und Schwimmbrille auf und marschierte in die Halle.
    Fünfzig Bahnen. Soviel hatte ich mir vorgenommen.
    Ich war schon Monate nicht mehr geschwommen. Meine Beine fühlten sich an wie Blei, egal, ob ich brustschwamm oder kraulte. Mein Brustkorb schmerzte. Irgendwie drang Wasser unter meine Schwimmbrille, so daß meine Augen zu brennen begannen. Ein Mann, dessen Arme beim Rückenschwimmen wie Sägeblätter rotierten, schlug mir auf den Bauch und schrie mich dann auch noch an.
    Während ich schwamm, zählte ich langsam vor mich hin und starrte durch meine Brille auf das türkise Wasser. Wie langweilig das doch war: auf und ab, auf und ab. Jetzt wußte ich wieder, warum ich damit aufgehört hatte. Aber nach etwa zwanzig Bahnen fand ich einen Rhythmus, der fast etwas von einer Meditation besaß, und statt weiter zu keuchen und zu zählen, begann ich zu denken. Nicht mehr panisch, sondern langsam und ruhig. Ich wußte, daß ich in großer Gefahr schwebte und daß mir niemand helfen würde. Was das betraf, hatte ich in Greg meine letzte Hoffnung gesehen. Jetzt war ich auf mich gestellt. Die Muskeln in meinen Armen schmerzten, während ich eine Bahn nach der anderen zurücklegte.
    So absurd das war, aber ich empfand fast so etwas wie Erleichterung. Ich war allein, und zum erstenmal seit Monaten hatte ich wieder das Gefühl, ich selbst zu sein.
    Nach all der Leidenschaft und Raserei, nach all dem Schrecken und dem schwindelerregenden Gefühl, die Kontrolle zu verlieren, hatte ich endlich wieder einen klaren Kopf, als wäre ich aus einem fiebrigen Traum erwacht. Ich war Alice Loudon. Ich hatte mich verloren und nun endlich wiedergefunden. Zweiundvierzig, dreiundvierzig, vierundvierzig. Während ich eine Bahn nach der anderen schwamm und dabei allen kraulenden Männern auswich, schmiedete ich einen Plan. Die Verspannungen in meinen Schultern lösten sich

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