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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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hast.« Sie hielt ihre Kaffeetüte hoch. »Wahrscheinlich habe ich mir in deiner alten Wohnung mindestens ein Kilo Kaffee einverleibt, während ich in deinen Whisky heulte. Gott, damals hatte ich das Gefühl, daß ich nie wieder in der Lage sein würde, allein die Straße zu überqueren, geschweige denn ein normales Leben zu führen und glücklich zu sein.«
    Ich drückte ihre Hand. Es heißt, die besten Freunde sind die, die einfach zuhören können. Wenn das stimmt, war ich während jenes schrecklichen Spaziergangs die beste aller Freundinnen. Nun hatte ich die Bescherung, sagte ich mir, die schreckliche Strafe für alle meine Täuschungen.
    Als wir in die Old Compton Street einbogen, entdeckte ich vor uns eine vertraute Gestalt. Adam. Mir wurde ganz schwindlig im Kopf, und ich hatte das Gefühl, gleich ohnmächtig zu werden. Ich drehte mich um, und mein Blick fiel auf eine offene Ladentür. Da ich kein Wort herausbrachte, nahm ich einfach Paulines Hand und zog sie hinein.
    »Was ist?« fragte sie besorgt.
    »Ich brauche ein bißchen …« Ich starrte auf die gläserne Theke. »Ein bißchen …«
    Mir fiel einfach nichts ein.
    »Parmesan«, meinte Pauline.
    »Parmesan«, pflichtete ich ihr bei. »Und noch einiges andere.«
    Pauline blickte sich um.
    »Aber es stehen so viele Leute an. Heute ist Freitag.«
    »Ich brauche die Sachen.«
    Unentschlossen trat Pauline von einem Fuß auf den anderen. Sie warf einen Blick auf ihre Armbanduhr.
    »Tut mir leid«, sagte sie. »Ich muß gehen.«
    »Ja«, antwortete ich erleichtert.
    »Was?«
    »Ist schon gut«, sagte ich. »Geh ruhig. Ich ruf dich an.«
    Wir küßten uns, und sie ging. Ich zählte bis zehn, bevor ich einen Blick riskierte. Von Pauline war nichts mehr zu sehen. Ich sah auf meine Hände hinunter. Sie waren ruhig, aber meine Gedanken rotierten.

    In dieser Nacht träumte ich, daß mir jemand mit einem Küchenmesser die Beine abschnitt und ich mich nicht dagegen wehrte.
    Ich wußte, daß ich nicht schreien oder mich beklagen durfte, weil ich es verdient hatte. In den frühen Morgenstunden wachte ich schweißgebadet und völlig verwirrt auf. Einen Moment lang wußte ich nicht, wo ich war und neben wem ich lag. Ich streckte die Hand aus und spürte warme Haut. Jake schlug die Augen auf.
    »Hallo, Alice«, sagte er und glitt friedlich in den Schlaf zurück.
    Ich konnte so nicht weitermachen. Ich hatte mich immer für einen ehrlichen Menschen gehalten.

    6. KAPITEL
    Ich kam zu spät zur Arbeit, weil ich warten mußte, bis das Schreibwarengeschäft um die Ecke aufmachte. Eine Weile starrte ich auf den Fluß, hypnotisiert von der überraschenden Kraft seiner Strömung. Dann verbrachte ich viel zuviel Zeit damit, an den Drehständern eine Postkarte auszusuchen. Nichts schien zu passen, weder die Reproduktionen alter Gemälde noch die Schwarzweißaufnahmen städtischer Straßen und malerischer armer Kinder. Auch die teuren Karten mit Collagen aus Pailletten und Muscheln, zwischen die dekorativ ein paar Federn gesteckt waren, erschienen mir nicht angemessen. Am Ende kaufte ich gleich zwei: eine friedliche japanische Landschaft mit silbernen Bäumen vor einem dunklen Himmel und eine abstrakte Komposition im Stil von Matisse, die ganz in fröhlichen Blautönen gehalten war. Außerdem erstand ich einen Füllfederhalter, obwohl ich bereits eine ganze Schreibtischschublade voll davon besaß.
    Was sollte ich schreiben? Ich schloß die Tür meines Büros, nahm die beiden Karten heraus und legte sie vor mich hin. Ich muß minutenlang so dagesessen und sie einfach nur angestarrt haben. Hin und wieder ließ ich zu, daß Adams Gesicht vor meinem geistigen Auge vorüberzog. So schön. Wie er mir in die Augen blickte.
    Noch nie hatte mich jemand so angeschaut. Ich hatte ihn das ganze Wochenende nicht gesehen, seit Freitag nicht mehr, und jetzt …
    Jetzt drehte ich die japanische Karte um und schraubte meinen Füller auf. Ich wußte nicht, wie ich anfangen sollte. Auf keinen Fall mit »Liebster Adam«, »Mein Liebling« oder »Geliebter«. So durfte ich ihn nicht mehr nennen. »Lieber Adam« klang zu kalt. Nur »Adam« kam auch nicht in Frage. Dann eben ganz ohne Anrede.
    »Ich kann mich nicht mehr mit dir treffen«, schrieb ich, wobei ich darauf achtete, die schwarze Tinte nicht zu verwischen. Dann hielt ich inne. Was gab es sonst noch zu sagen? »Bitte versuch nicht, mich umzustimmen. Es war –
    « War was? Schön? Schmerzhaft? Umwerfend? Falsch?
    Das Wundervollste, was mir je

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