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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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brach mir der Schweiß aus, und ich hatte einen Anfall von Platzangst. Der Raum war mir mit einemmal viel zu klein, zu voll und zu laut. Ich legte eine Hand an meine Schläfe. Das Telefon klingelte.
    »Kannst du mal rangehen?« rief Jake, der gerade Bier aus dem Kühlschrank holte. Ich hob den Hörer ab.
    »Hallo.«
    Schweigen.
    Ich wartete auf seine Stimme, aber es kam nichts. Wie betäubt legte ich auf und kehrte ins Wohnzimmer zurück.
    Ich ließ meinen Blick durch den Raum schweifen. Das waren meine besten und ältesten Freunde. Ich kannte sie schon zehn Jahre, und in zehn Jahren würde ich sie immer noch kennen. Wir würden uns immer noch treffen und uns dieselben alten Geschichten erzählen. Ich beobachtete, wie Pauline mit Gail sprach, ihr etwas erklärte. Sie legte die Hand auf Gails Arm. Clive trat auf sie zu. Er wirkte nervös und unsicher. Die beiden Frauen lächelten ihn an.
    Jake kam zu mir herüber und reichte mir eine Dose Bier.
    Er legte den Arm um mich und drückte mich an sich.
    Morgen früh würde er nach Edinburgh aufbrechen.
    Immerhin, so redete ich mir ein, ging es mir schon ein bißchen besser. Ich konnte ohne ihn leben. Die Tage würden vergehen. Bald würde es eine Woche her sein, dann einen Monat …
    Wir spielten eine Runde Poker. Gail gewann, und Clive verlor. Er machte für sie den Clown, und sie kicherte über seine Späße. Sie war nett, dachte ich. Netter als Clives sonstige Freundinnen. Irgendwann würde er sie verlassen, weil sie nicht berechnend genug sein würde, um sich auf Dauer seine Bewunderung zu sichern.

    Am nächsten Tag hörte ich um die übliche Zeit zu arbeiten auf und verließ das Gebäude durch den Vorderausgang.
    Ich konnte mich nicht den Rest meines Lebens vor ihm verstecken. Mit einem seltsamen Schwindelgefühl trat ich durch die Drehtür und sah mich um. Er war nicht da. Ich war sicher gewesen, daß er vor der Tür stehen würde.
    Vielleicht war er all die Tage, an denen ich mich durch den Hintereingang hinausgeschlichen hatte, ebenfalls nicht dagewesen. In mir stieg ein schreckliches Gefühl von Enttäuschung hoch, was mich selbst überraschte.
    Schließlich hatte ich mir vorgenommen, jedes Zusammentreffen mit ihm zu vermeiden. Oder etwa nicht?
    Ich wollte nicht nach Hause, aber ich wollte auch nicht zu den anderen ins Vine. Plötzlich wurde mir bewußt, wie müde ich war. Ich fand es schon anstrengend, einen Fuß vor den anderen zu setzen. Außerdem quälte mich ein dumpfer, pochender Schmerz zwischen den Augen. Ich ließ mich vom dichten Gedränge der Rush-hour die Straße entlangtreiben. Im Vorbeigehen spähte ich in die Schaufenster. Es war Ewigkeiten her, seit ich mir etwas zum Anziehen gekauft hatte. Ich erstand ein herabgesetztes T-Shirt in einem kräftigen Blauton, hatte dabei aber ein wenig das Gefühl, mich dazu zwingen zu müssen. Anschließend bummelte ich in der kleiner werdenden Menge ziellos weiter. Ein Schuhgeschäft. Ein Schreibwarenladen. Ein Spielwarenladen, in dessen Auslage ein riesiger rosa Teddy thronte. Ein Wollshop.
    Eine Buchhandlung, die in ihrem Fenster außer Büchern auch noch andere Dinge anpries: eine kleine Axt, eine Rolle dünnes Seil. Durch die offene Tür schlug mir warme Luft entgegen, und ich ging hinein.
    Es handelte sich nicht wirklich um eine Buchhandlung, auch wenn es dort Bücher zu kaufen gab. Es war ein Geschäft für Bergsteiger. Wahrscheinlich hatte ich es die ganze Zeit über gewußt. Außer mir waren nur noch ein paar andere Kunden da, lauter Männer. Mein Blick fiel auf Nylonjacken, Handschuhe aus für mich geheimnisvollen modernen Materialien, Schlafsäcke, die im hinteren Teil des Ladens in einem großen Regalfach gestapelt waren.
    Von der Decke hingen Laternen. Sie führten auch kleine Campingöfen. Zelte. Riesige, schwere Stiefel aus einem harten, glänzenden Material. Rucksäcke mit unzähligen Seitentaschen. Scharf wirkende Messer. Holzhämmer. Ein Regalfach voller Heftpflaster, Jodtupfer, Latexhandschuhe. Essenspakete und Energieriegel. Es sah fast so aus, als würden sich Leute dort für Reisen in den Weltraum ausrüsten.
    »Kann ich Ihnen helfen?«

    Ein junger Mann mit borstigem Haar und Knollennase stand neben mir. Wahrscheinlich war er ebenfalls Bergsteiger. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, als hätte ich mich unter Vorspiegelung falscher Tatsachen in den Laden eingeschlichen.
    »Ähm, nein, eigentlich nicht.«
    Ich verdrückte mich zu den Bücherregalen und ließ den Blick über die Titel wandern:

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