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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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mich weiter nach oben. Eines Tages, dachte ich.

    »Du siehst müde aus.«
    »Streß in der Arbeit«, log ich.
    In meinem Freundeskreis gab es eine Person, die ich nicht ständig auf ein andermal vertrösten konnte. Pauline und ich trafen uns fast jede Woche zum Mittagessen, und hinterher bummelten wir normalerweise durch ein, zwei Geschäfte, wo sie geduldig zusah, während ich lauter unpraktische Sachen anprobierte: im Winter Sommerkleider, im Sommer Samt und Wolle, Kleidungsstücke für ein anderes Leben. Heute mußte sie einkaufen, und ich begleitete sie. Nachdem wir uns in einer Bar am Rand von Covent Garden ein paar Sandwiches gegönnt hatten, standen wir erst in einem Kaffeeladen und anschließend in einem Käsegeschäft Schlange.
    Mir war sofort klar, daß ich das Falsche geantwortet hatte. So etwas wie »Streß in der Arbeit« sagten wir normalerweise nicht zueinander. Ich fühlte mich plötzlich wie eine Doppelagentin.
    »Wie geht es Jake?« fragte sie.
    »Sehr gut«, antwortete ich. »Das Tunnelprojekt ist fast
    … Jake ist wundervoll. Er ist absolut wundervoll.«
    Pauline sah mich besorgt an.
    »Ist mit dir alles in Ordnung, Alice? Vergiß nicht, daß du von meinem großen Bruder redest. Wenn jemand Jake als absolut wundervoll beschreibt, kann irgend etwas nicht in Ordnung sein.«
    Ich mußte lachen, sie stimmte mit ein, und der gefährliche Moment war vorüber. Sie erstand eine große Tüte Kaffeebohnen und zwei Becher Kaffee zum Mitnehmen, und wir spazierten langsam in Richtung Covent Garden, wo wir uns auf einer Bank niederließen.
    Es ging mir schon ein bißchen besser. Es war ein sonniger, klarer, sehr kalter Tag, und der Kaffee brannte angenehm auf meinen Lippen.
    »Wie ist das Leben als verheiratete Frau?«
    Paulines Blick wurde sehr ernst. Sie war eine auffallend schöne Frau, auch wenn sie mit ihrem glatten dunklen Haar ein wenig streng wirkte.
    »Ich habe die Pille abgesetzt«, sagte sie.
    »Wegen der Risiken?« fragte ich. »Sie ist nicht wirklich
    …«
    »Nein«, lachte sie. »Ich habe sie einfach abgesetzt. Ich nehme nichts anderes.«
    »O mein Gott!« stieß ich überrascht aus und umarmte sie.
    »Seid ihr wirklich schon so weit? Ist das nicht ein bißchen zu früh?«
    »Ich glaube, es ist immer zu früh«, antwortete Pauline.
    »Außerdem ist ja noch nichts passiert.«
    »Du hast also noch nicht angefangen, nach dem Sex einen Kopfstand zu machen oder was man da so tut?«
    Wir sprachen über Fruchtbarkeit, Schwangerschaft und Mutterschaftsurlaub, und je länger wir redeten, desto schlechter fühlte ich mich. Bis zu diesem Augenblick hatte ich die Geschichte mit Adam als dunkles Geheimnis betrachtet, als mein ganz persönliches Problem. Mir war klar, was ich Jake mit diesem schrecklichen Betrug antat, aber als ich nun Pauline betrachtete, die von der Kälte, vielleicht aber auch vor Aufregung über eine bevorstehende Schwangerschaft ganz rote Wangen hatte und mit den Händen ihren Kaffeebecher umklammerte, hatte ich plötzlich das verrückte Gefühl, daß sie bei alldem von völlig falschen Voraussetzungen ausging. Die Welt war nicht so, wie Pauline glaubte, und das war meine Schuld.
    Wir starrten beide auf unsere leeren Becher, mußten plötzlich lachen und standen auf. Ich nahm sie fest in den Arm und drückte mein Gesicht an ihres.
    »Danke«, sagte ich.

    »Wofür?«
    »Die meisten Leute erzählen einem erst nach sechs Monaten, daß sie ein Baby haben wollen.«
    »Oh, Alice«, entgegnete sie vorwurfsvoll. »Wie könnte ich dir das verschweigen?«
    »Ich muß los«, sagte ich plötzlich. »Ich muß zu einer Besprechung.«
    »Wo?«
    »Oh«, antwortete ich überrascht. »In, ähm, Soho.«
    »Ich begleite dich. Das liegt auf meinem Weg.«
    »Das wäre wunderbar«, antwortete ich in Panik.
    Unterwegs sprach Pauline von Guy, der achtzehn Monate zuvor völlig unerwartet und auf ziemlich brutale Weise mit ihr Schluß gemacht hatte.
    »Kannst du dich noch daran erinnern, wie es mir damals ging?« fragte sie mit einer kleinen Grimasse. Einen Moment lang sah sie genauso aus wie ihr Bruder. Ich nickte, während ich krampfhaft überlegte, wie ich aus dieser Patsche herauskommen konnte. Sollte ich mich einfach vor irgendeinem Bürogebäude von ihr verabschieden? Oder sollte ich so tun, als hätte ich die Adresse vergessen? »Natürlich kannst du dich erinnern.
    Schließlich hast du mir damals das Leben gerettet. Ich glaube nicht, daß ich jemals wiedergutmachen kann, was du alles für mich getan

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