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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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passiert ist? Es hat mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt?
    Ich zerriß das Bild von den japanischen Bäumen, warf es in den Papierkorb und griff nach den blauen Klecksen.
    »Ich kann mich nicht mehr mit dir treffen.«
    Bevor ich noch etwas anderes hinzufügen konnte, steckte ich die Karte in einen Umschlag und schrieb in ordentlichen Großbuchstaben Adams Namen und Adresse darauf. Dann verließ ich mein Büro mit dem Kuvert in der Hand und fuhr mit dem Lift in die Eingangshalle hinunter, wo Derek mit seinen Passierscheinen und seiner Sun am Empfang saß.
    »Könnten Sie mir einen Gefallen tun, Derek? Dieser Brief ist sehr dringend, und ich habe mich gefragt, ob Sie vielleicht einen Fahrradkurier damit losschicken könnten.
    Ich hätte sonst Claudia gefragt, aber …« Ich ließ den Satz unvollendet in der Luft hängen. Derek nahm den Umschlag und warf einen Blick auf die Adresse.
    »Soho. Etwas Geschäftliches, oder?«
    »Ja.«
    Er legte den Umschlag neben sich. »Meinetwegen, aber nur ausnahmsweise.«
    »Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar. Und Sie sorgen dafür, daß er gleich weggeht?«

    Ich erklärte Claudia, daß sich bei mir eine Menge Arbeit angesammelt hätte und daß sie Anrufer nur durchstellen solle, wenn es sich um Mike, Giovanna oder Jake handle.
    Sie sah mich neugierig an, sagte aber nichts. Es war halb elf. Noch rechnete er damit, daß ich mittags zu ihm in sein verdunkeltes Zimmer kommen und die Welt draußen vor der Tür lassen würde. Gegen elf würde er die Nachricht erhalten. Er würde die Treppe hinunterlaufen, nach dem Umschlag greifen, mit dem Finger unter die Lasche fahren und den einen Satz lesen. Ich hätte wenigstens dazuschreiben sollen, daß es mir leid tue. Oder daß ich ihn liebte. Ich schloß die Augen. Ich fühlte mich wie ein Fisch auf dem Trockenen. Keuchend rang ich nach Luft. Jeder Atemzug schmerzte.
    Als Jake vor ein paar Monaten mit dem Rauchen aufgehört hatte, hatte er mir erklärt, der Trick bestehe darin, nicht ans Rauchen zu denken: Was man sich verweigere, hatte er gesagt, sei sonst doppelt interessant und beginne einen irgendwann richtig zu verfolgen. Ich strich mit einem Finger über meine Wange und stellte mir vor, daß Adam es war, der mich berührte. Ich durfte ihn mir nicht mehr vorstellen. Ich durfte nicht mehr mit ihm telefonieren, ihn nicht mehr sehen. Sofortiger Totalentzug.
    Um elf sperrte ich den grauen, naßkalten Tag aus, indem ich die Jalousien herunterließ. Nur für den Fall, daß er herkommen und draußen auf mich warten würde. Ich sah nicht auf die Straße hinunter. Claudia brachte mir eine Liste mit den Namen der Leute, die angerufen und eine Nachricht hinterlassen hatten. Adam war nicht dabei.
    Vielleicht war er unterwegs und wußte noch gar nichts.
    Vielleicht würde er meine Nachricht erst lesen, wenn er in seine Wohnung zurückkam, um sich dort mit mir zu treffen.
    Mittags blieb ich in meinem verdunkelten Büro sitzen und starrte auf den Bildschirm meines Computers. Jeder, der hereingekommen wäre, hätte mich für sehr beschäftigt gehalten.
    Gegen drei rief mich Jake an, um mir zu sagen, daß er am Freitag unter Umständen für ein paar Tage geschäftlich nach Edinburgh müsse.
    »Kann ich mitkommen?« fragte ich. Aber das war eine dumme Idee. Er würde den ganzen Tag arbeiten.
    Außerdem war ich bei Drakon im Moment nicht abkömmlich.
    »Wir fahren bald mal zusammen weg«, versprach er.
    »Laß uns doch heute abend zur Abwechslung mal zu Hause bleiben und Reisepläne schmieden. Ich bring’ uns was zum Essen mit. Chinesisch oder Indisch?«
    »Indisch«, antwortete ich. Am liebsten hätte ich mich übergeben.
    Ich ging zu unserer wöchentlichen Konferenz, bei der uns Claudia unterbrach, um mich zu informieren, daß ein Mann da sei, der seinen Namen nicht nennen wolle, mich aber dringend zu sprechen wünsche. Ich trug ihr auf, ihm zu sagen, daß ich nicht weg könne. Claudia war anzusehen, daß sie vor Neugier fast platzte.
    Gegen fünf beschloß ich, früh Schluß zu machen. Ich verließ das Gebäude durch den Hinterausgang und nahm mir ein Taxi. Während wir im dichten Berufsverkehr am Haupteingang vorbeifuhren, wandte ich den Kopf ab und schloß die Augen. Ich traf vor Jake zu Hause ein, schleppte mich ins Schlafzimmer – unser Schlafzimmer –
    und legte mich aufs Bett, wo ich zusammengerollt darauf wartete, daß die Zeit verging. Das Telefon klingelte, aber ich ging nicht hin. Als ich die Klappe des Briefkastens klappern und etwas auf

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