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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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die Türmatte fallen hörte, rappelte ich mich hoch. Ich mußte es holen, bevor Jake es in die Hände bekam. Aber es war nur Werbung. Jemand wollte wissen, ob meine Teppiche eine Spezialreinigung nötig hätten. Ich ging wieder nach oben, legte mich aufs Bett und versuchte, ruhig zu atmen. Bald würde Jake kommen.
    Jake. Ich dachte an Jake. Stellte mir vor, wie er die Stirn krauszog, wenn er lächelte. Wie er ganz leicht die Zunge herausstreckte, wenn er sich konzentrierte. Wie er johlte, wenn er lachte. Draußen war es dunkel, und die Straßenlampen leuchteten orange. Ich hörte Motorengeräusche, Stimmen, spielende Kinder.
    Irgendwann schlief ich ein.

    Ich zog Jake in der Dunkelheit an mich.
    »Der Inder kann warten«, flüsterte ich.
    Ich sagte ihm, daß ich ihn liebte, und er sagte mir, daß er mich auch liebe. Ich hatte das Bedürfnis, es ihm wieder und wieder zu sagen, beherrschte mich aber. Draußen regnete es leicht. Später aßen wir die kalten Speisen aus den silberfarbenen Alubehältern, das heißt, er aß, und ich stocherte darin herum. Die wenigen Bissen, die ich schaffte, spülte ich mit großen Schlucken billigem Rotwein hinunter. Als das Telefon klingelte, ließ ich Jake rangehen, obwohl mein Herz wie wild hämmerte.
    »Jemand, der gleich wieder aufgelegt hat«, erklärte er.
    »Wahrscheinlich ein heimlicher Verehrer.«
    Wir lachten beide fröhlich. Ich trank einen weiteren großen Schluck Wein und stellte mir dabei vor, wie Adam in seiner leeren Wohnung auf dem Bett saß. Jake schlug vor, für ein Wochenende nach Paris zu fahren. Um diese Jahreszeit könne man mit dem Eurostar recht günstig reisen, meinte er.
    »Schon wieder ein Tunnel«, antwortete ich. Ich wartete darauf, daß das Telefon erneut klingelte. Diesmal würde ich abnehmen müssen. Was sollte ich tun? Ich überlegte krampfhaft, wie ich am besten »Ruf mich nicht mehr an«
    sagte, ohne daß Jake deswegen Verdacht schöpfte. Aber es klingelte nicht. Vielleicht war ich einfach zu feige gewesen und hätte es ihm ins Gesicht sagen sollen. Aber ich hätte es ihm nicht ins Gesicht sagen können. Jedesmal, wenn ich in sein Gesicht sah, stürzte ich mich in seine Arme.
    Ich sah zu Jake hinüber, und er lächelte mich gähnend an.
    »Zeit fürs Bett«, sagte er.

    Ich versuchte es. Während der nächsten Tage gab ich mir wirklich große Mühe. Ich nahm keinen seiner Anrufe im Büro entgegen. Er schickte mir einen Brief an meine Büroadresse, aber ich öffnete ihn nicht, sondern zerriß ihn in viele kleine Fetzen und warf sie in den großen metallenen Müllbehälter neben der Kaffeemaschine.
    Einige Stunden später, als die anderen beim Mittagessen waren, wollte ich ihn wieder herausholen, aber der Behälter war bereits geleert worden. Ich fand nur noch ein einziges kleines Stück Papier, auf dem mit seiner energischen Handschrift geschrieben stand: »… für ein paar …« Ich starrte auf die Buchstaben und berührte den Fetzen Papier, als hätte Adam ein Stück von sich hinterlassen. Ich versuchte, ganze Sätze um die drei nichtssagenden Worte zu konstruieren.
    Ich hörte zu den seltsamsten Zeiten zu arbeiten auf und verließ das Gebäude immer durch den Hintereingang, wenn möglich im Schutz einer großen Schar Menschen.
    Die Londoner Innenstadt mied ich vorsichtshalber. Ich ging überhaupt wenig aus dem Haus und blieb mit Jake daheim, zog die Vorhänge zu, um das schlechte Wetter auszusperren, sah mir mit ihm Videos an und trank ein bißchen zuviel, jedenfalls genug, um jede Nacht wie betäubt zu schlafen. Jake war mir gegenüber sehr aufmerksam. Er sagte mir, daß ich seit ein paar Tagen einen zufriedeneren Eindruck machte und nicht mehr »von einer Sache zur nächsten hetzen« würde. Ich antwortete ihm, daß es mir tatsächlich sehr gutgehe.
    Am Donnerstag abend, drei Tage, nachdem ich Adam die Nachricht geschickt hatte, kamen ein paar unserer Freunde vorbei: Clive, Julie, Sylvie, Pauline und Tom und ein Freund von Tom, der Duncan hieß. Clive hatte Gail mitgebracht, die Frau, die auf der Party seinen Ellbogen behandelt hatte. Sie wirkte ein bißchen verwirrt, was nicht weiter verwunderlich war. Schließlich handelte es sich erst um ihr zweites Rendezvous, und sie hatte bestimmt das Gefühl, plötzlich einer ganzen Großfamilie vorgestellt zu werden.
    »Ihr redet alle so viel«, sagte sie zu mir, als ich sie fragte, ob sie sich wohl fühle. Ich warf einen Blick in die Runde. Sie hatte recht: Alle schienen gleichzeitig zu reden. Plötzlich

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