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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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fernsieht, während jemand anderer bügelt. Jake holt die Zeitung, und ich lese sie über seiner Schulter, was ihn ziemlich nervt. Wir gehen beide einkaufen, wobei ich aber immer eine Liste mitnehme und alles abhake, während er viel planloser vorgeht und mehr Geld ausgibt als ich. Er taut den Kühlschrank ab, ich gieße die Pflanzen. Er bringt mir jeden Morgen eine Tasse Tee ans Bett.
    »Du bist spät dran«, sagte er. »Hier ist dein Tee. Ich gehe in genau drei Minuten.«
    »Ich hasse den Januar«, sagte ich.
    »Das hast du über den Dezember auch schon gesagt.«
    »Der Januar ist wie der Dezember. Bloß ohne Weihnachten.«
    Aber er hatte bereits den Raum verlassen. Nach einer schnellen Dusche sprang ich in einen hellbeigen Hosenanzug, bei dem mir die Jacke fast bis an die Knie reichte. Dann bürstete ich mein Haar und drehte es zu einem lockeren Knoten zusammen.

    »Du siehst gut aus«, sagte Jake, als ich in die Küche kam. »Ist das neu?«
    »Ich habe es schon seit Ewigkeiten«, log ich, während ich mir eine zweite, lauwarme Tasse Tee einschenkte.
    Auf dem Weg zur U-Bahn teilten wir uns einen Schirm und versuchten, allen größeren Pfützen auszuweichen. Am Drehkreuz blieben wir kurz stehen. Er klemmte sich den Schirm unter den Arm, nahm mich fest an den Schultern und gab mir einen Kuß.
    »Mach’s gut, Schatz«, sagte er. Ich wußte, daß er in einem solchen Moment gern verheiratet gewesen wäre.
    Jake möchte, daß aus uns ein Ehepaar wird. Mit diesen beklemmenden Gedanken beschäftigt, vergaß ich ganz, seinen Gruß zu erwidern. Zum Glück fiel es ihm nicht auf.
    Er trat auf die Rolltreppe und fuhr mit einer ganzen Schar von Männern in Regenmänteln nach unten. Er sah sich nicht um. Fast war es, als wären wir schon verheiratet.
    Ich wollte nicht in die Besprechung. Auch körperlich fühlte ich mich dazu kaum in der Lage. Am Vorabend waren Jake und ich essen gewesen, um Mitternacht nach Hause zurückgekehrt und dann erst gegen halb drei zum Schlafen gekommen. Wir hatten unseren Jahrestag gefeiert
    – unseren ersten. Es war kein besonderer Jahrestag, aber Jake und ich haben sonst keinen zu feiern. Obwohl wir uns hin und wieder das Gehirn zermartert haben, können wir uns nicht an unsere erste Begegnung erinnern. Wie zwei Bienen, die denselben Bienenstock umschwirren, halten wir uns schon so lange in derselben Umgebung auf. Wir können uns auch nicht daran erinnern, wann wir Freunde geworden sind. Wir gehörten beide zu einer Clique, die mal etwas kleiner, mal etwas größer war. Jake und ich wußten alles über die Eltern, die Schulzeit und das frühere Liebesleben des anderen. Einmal betranken wir uns ganz schrecklich, weil ihn seine Freundin verlassen hatte. Wir saßen unter einem Baum im Regent’s Park und leerten gemeinsam eine halbe Flasche Whisky. Dabei war unsere Stimmung mal traurig, mal albern, insgesamt aber ziemlich sentimental. Ich erklärte ihm, daß seine Ex schon noch merken würde, was sie an ihm gehabt habe, woraufhin er einen Schluckauf bekam und mein Haar streichelte.
    Wir lachten über die Witze des anderen, tanzten auf Partys miteinander, solange die Musik nicht zu langsam wurde, schnorrten Geld voneinander, bildeten Fahrgemeinschaften und erteilten uns gegenseitig Ratschläge. Wir waren Freunde.
    Wir konnten uns beide noch an den Abend erinnern, an dem wir zum erstenmal miteinander geschlafen haben.
    Das war am siebzehnten Januar vergangenen Jahres gewesen. An einem Mittwoch. Ein paar von uns wollten sich im Kino eine Spätvorstellung ansehen. Dann konnten plötzlich mehrere nicht kommen, und als wir uns schließlich im Kino trafen, waren nur noch Jake und ich übriggeblieben. Irgendwann während des Films sahen wir uns an und lächelten ziemlich dümmlich, wahrscheinlich, weil uns beiden klarwurde, daß das Ganze nun auf eine Art Rendezvous hinauslief, und wir uns beide fragten, ob das wohl eine gute Idee war.
    Hinterher lud er mich auf einen Drink in seine Wohnung ein. Es war gegen ein Uhr morgens. Er hatte eine Packung Räucherlachs im Kühlschrank und selbstgebackenes Brot.
    Darüber mußte ich im nachhinein lachen, weil er seitdem nie wieder Brot oder sonst was gebacken hat. Wir gehören zu den Paaren, die von Fertiggerichten leben oder sich irgendwo etwas zum Essen mitnehmen. Als ich ihn an diesem Abend zum erstenmal küßte, fand ich das irgendwie komisch, denn schließlich waren wir schon lange gute Freunde. Ich sah sein Gesicht auf mich zukommen, bis es dem meinen so nahe

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