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Höhenangst

Titel: Höhenangst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicci French
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war, daß seine vertrauten Züge plötzlich fremd wirkten. Am liebsten hätte ich losgekichert oder einen Rückzieher gemacht, nur um den plötzlichen Ernst der Situation zu durchbrechen, diese neue Art von Stille zwischen uns. Aber ich fühlte mich sofort wohl, so als hätte ich mein Zuhause gefunden.
    Wenn es Phasen gab, in denen mich die Vorstellung, seßhaft geworden zu sein, störte (was war aus meinen Plänen geworden, im Ausland zu arbeiten, Abenteuer zu erleben, eine andere Art von Mensch zu sein?) oder ich mich fragte, ob ich mit meinen knapp dreißig Jahren schon an einem Endpunkt angelangt war, nun, dann schüttelte ich diese Gedanken ab.
    Mir ist klar, daß Paare an einem bestimmten Punkt die Entscheidung treffen zusammenzuleben. Es ist eine Station auf dem Lebensweg, wie das Austauschen von Ringen oder das Sterben. Bei uns war das nicht so. Es fing einfach damit an, daß ich hin und wieder über Nacht blieb.
    Jake stellte mir eine Schublade für Slips und Strümpfe zur Verfügung. Gelegentlich hängte ich auch mal ein Kleid in seinen Schrank. Ich fing an, meine Haarspülung und meinen Eyeliner bei ihm im Bad zu deponieren. Nach ein paar Wochen fiel mir auf, daß etwa die Hälfte der Videos meine Handschrift trug.
    Eines Tages fragte mich Jake, ob es denn sinnvoll sei, weiter Miete für mein Zimmer zu bezahlen, wenn ich mich nie dort aufhielte. Ich druckste eine Weile herum, konnte mich aber zu keiner Entscheidung durchringen. Im Sommer kam meine Cousine Julie in die Stadt, um dort bis zum Collegebeginn zu jobben. Ich bot ihr als Übergangslösung mein Zimmer an. Um Platz für ihre Sachen zu machen, mußte ich noch mehr von meinen Dingen ausräumen. Ende August – es war ein heißer Sonntagabend, und wir saßen in einem Pub, von dem aus man quer über den Fluß auf St. Paul’s hinüberblicken konnte – fing Julie damit an, uns die Ohren vollzujammern, daß sie sich etwas suchen müsse, wo sie auf Dauer bleiben könne. Ich schlug ihr vor, einfach mein Apartment zu übernehmen. So kam es, daß Jake und ich plötzlich zusammenwohnten und als einzigen Jahrestag unsere erste sexuelle Begegnung zu feiern hatten.
    Aber diese Feier hatte ihre Folgen, und wenn man voller Widerwillen zu einer Geschäftsbesprechung geht und befürchtet, sich nicht gut genug präsentieren zu können, sollte man zumindest pünktlich und ordentlich gekleidet dort erscheinen. Das gehört zwar nicht unbedingt zu den zehn Geboten für Manager, aber an jenem dunklen Morgen, an dem mein Magen nichts anderes als Tee vertrug, erschien es mir wie eine Überlebensstrategie. In der U-Bahn versuchte ich meine Gedanken zu ordnen. Ich hätte mich besser vorbereiten sollen, ein paar Notizen machen oder etwas in der Art. Ich setzte mich nicht hin, weil ich hoffte, daß mein neuer Hosenanzug auf diese Weise faltenfrei bleiben würde. Mehrere freundliche Herren boten mir einen Sitzplatz an und wirkten peinlich berührt, als ich ablehnte. Womit würden sich all die anderen Fahrgäste an diesem Tag beschäftigen? Bestimmt würde keiner etwas so Seltsames tun wie ich. Ich war unterwegs in das Büro einer kleinen Abteilung eines sehr großen multinationalen Pharmakonzerns, um im Rahmen einer Geschäftsbesprechung über einen Gegenstand aus Plastik und Kupfer zu reden, der wie eine New-Age-Brosche aussah, in Wirklichkeit aber der unbefriedigende Prototyp eines Intrauterinpessars war.
    Ich hatte miterlebt, wie mein Chef Mike zunächst verblüfft, dann wütend, dann frustriert und schließlich verwirrt reagiert hatte, weil wir mit Drakloop IV nicht vorankamen. Drakloop IV war das Intrauterinpessar – von uns kurz IUP genannt –, mit dem der Drakon-Konzern die intrauterine Empfängnisverhütung revolutionieren wollte, falls das Ding je den Weg aus dem Labor schaffen sollte.
    Ich selbst war sechs Monate zuvor für das Projekt engagiert, mit der Zeit aber immer mehr in einen bürokratischen Sumpf hineingezogen worden: Budgetpläne, Marketingziele, Defizite, regionale Besprechungen, Besprechungen wegen Besprechungen.
    All das und die unmögliche Hierarchie des Entscheidungsprozesses hatten mich fast vergessen lassen, daß ich als Wissenschaftlerin in ein Projekt eingebunden war, das entfernt mit weiblicher Fruchtbarkeit zu tun hatte.
    Ich hatte den Job angenommen, weil mir die Vorstellung, ein Produkt zu kreieren und zu verkaufen, wie ein Urlaub von meinem sonstigen Arbeitsleben vorgekommen war.
    An diesem Donnerstagmorgen wirkte Mike bloß mißmutig, aber

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