Hoehenfieber
athletisch. Seine Jeans verbarg nicht einen offenbar knackigen Hintern. Andere Männer bewegten sich betont lässig, um männlich zu wirken, ihm jedoch schienen die geschmeidigen Bewegungen angeboren zu sein, ohne dass sie aufgesetzt und machohaft wirkten. Unter seinem T-Shirt erahnte Quinn kraftvolle Muskeln, ohne dass diese anabolikageschwängert antrainiert wirkten. Es besaß von allem eine Portion Vollkommenheit, und doch fehlte es immer an einem Quäntchen Perfektion, die ihm das Aussehen eines dieser Machoman Dancers verliehen hätte. Ein Mann, wie sie sich ihn in ihren Träumen ausmalen würde. Hätte sie denn solche.
Sein kantiges Gesicht hatte sich dafür nach nur zweimaligem Ansehen bereits in ihrem Gedächtnis verankert. Das Blau seiner Augen beeind r uckte sie am meisten. Wie ein strahlender Sommerhimmel. Tief und klar. Er hatte sich heute nur flüchtig rasiert, denn als sie im Terminal hinter ihm stand und er sich zu ihr umdrehte, hatte sie einen kleinen Schnitt an seinem Hals entdeckt. Die Rasur wirkte überhastet, dennoch stand ihm der Bartschatten gut. Mit glatt rasiertem Gesicht würde er wahrscheinlich unerfahren und bübchenhaft wirken, so jedoch betonten die dunklen Bartstoppel seine Gesichtsform, sein Kinn und die Wangenpartie, und legten interessante Konturen auf seine Kieferknochen. Er wirkte dadurch älter. Ende zwanzig vielleicht? Genauso gut konnte er einige Jahre jünger sein, und wahrscheinlich würde er mit Mitte vierzig und noch weit in die Fünfziger hinaus seine Attraktivität beibehalten, ohne einen Bauch anzusetzen, die Haare zu verlieren oder teigige, schlaffe Gesichtshaut zu bekommen, womit viele ab einem gewissen Alter zu kämpfen hatten. Er hingegen müsste wahrscheinlich tonnenweise Feuchtigkeitscreme benutzen, damit ihm die Haut nicht wie gegerbtes Leder über die Knochen spannte.
Sie lachte innerlich. Endlich platzte so etwas wie ein Knoten in ihrem Gehirn und jetzt grinste sie vor sich hin, weil sie es schaffte, ihre eingebildeten Merkwürdigkeiten als das abzutun, was sie schließlich waren: Fantastereien. Sie hatte weder eine Stimme gehört noch Gedanken gelesen, sondern war einfach nur mit ihrer Fantasie ein gutes Stück übers Ziel hinausgeschossen.
Der Geruch nach Essen zog ihr in die Nase und von hinten hörte sie Klappern. Sie warf einen Blick über die Schulter, obwohl ihr klar war, was sie sehen würde. Zwei Flugbegleiterinnen begannen, Essen und Getränke zu verteilen.
Bisher hatte sie das Knurren ihres Magens mit Erfolg unterdrückt, doch jetzt meldete sich der Hunger mit Nachdruck. Auf Reisen, selbst auf kurzen Strecken mit der Straßenbahn, bekam sie ständig einen unbändigen Appetit, während Vanita vermutlich wie immer bereits nach zwei Bissen ihre Portion von sich schieben würde.
Es roch aber auch verlockend. Säße sie weiter vorn und müsste noch eine halbe Stunde auf das Essen warten, obwohl der Geruch ihr schon das Wasser im Mund zusammentrieb, würde sie garantiert eines furchtbaren Todes sterben – nicht, weil sie verhungerte, sondern wegen der Folter.
Sanft stupste sie Vanita an. „Süße? Bist du wach?“
„Hmm“, brummte ihre Freundin nur und stopfte ihre Strickjacke zwischen Kopf und Bordwand, um sich bequemer anzulehnen. Also kein gesteigertes Interesse, auch gut. Als die Stewardess jedoch fragte, was sie trinken wolle, meldete sich Van als Erste.
„Wasser! Und wenn ’s geht, gleich zwei Becher, bitte.“
Vanitas Wunsch wurde erfüllt. Quinn bestellte Tomatensaft, was sonst? Sie sah den Flugbegleiterinnen hinterher, wie sie die nächsten drei Sitzreihen bedienten , und versuchte, verstohlen an ihnen vorbei nach vorn zu sehen. Vergebens, das hätte ihr klar sein müssen. Dennoch hätte sie gern gewusst, ob er sich vielleicht zwischendurch zu ihr umdrehte und ob sich ihre Blicke treffen würden.
Ein Ruck weckte Quinn.
Verwirrt richtete sie sich auf und sah zum Fenster hinaus. Als sie erkannte, dass sie gerade gelandet waren, überfluteten sie widersprüchliche Gefühle. Vorfreude ließ ihr Herz schneller pochen und eine undefinierbare Angst trieb ihr Schweiß auf die Haut.
Sonnenstrahlen blendeten sie und kitzelten ihre Nase. Sie sah auf ihre Armbanduhr, die sie bereits vor Stunden auf die lokale Zeit in Dubai umgestellt hatte. Die Glut der frühen Nachmittagshitze würde sie gleich beim Aussteigen aus dem klimatisierten Flugzeug wie mit einem Hammerschlag vor den Kopf begrüßen. Obwohl es gefühlt Nacht sein müsste, spürte
Weitere Kostenlose Bücher