Höhenrausch (German Edition)
deine Affäre: Beende sie sofort! Abgesehen davon ist es tendenziell richtig, Männern nicht auf die Nerven zu gehen – denn das sind sie nicht gewohnt. Wenn du das noch eine Weile durchhältst, wird er fälschlicherweise annehmen, du gehörst zu den fünf Prozent unkomplizierter Frauen. Und so eine will man auf keinen Fall verlieren. Du wirst dich also noch weiter verstellen müssen.
Aber beschwer dich nicht bei mir, wenn er dich in ein paar Jahren mit einer Frau betrügt, die auch so tut, als sei sie total unkompliziert.
Gruß
Andreas
Ich rauche und höre Johann Berger zu. Er schimpft über einen Kollegen, den er für eine komplette Niete hält. Er fragt, ob er sich für die Firmenwohnung einen neuen Teppich kaufen soll. Er erzählt von seinem ehrgeizigen Vater, der vor zehn Jahren gestorben ist, ohne die Karriere des Sohnes miterlebt zu haben.
Er redet. Ich höre zu.
So kenne ich mich gar nicht. Bin ich durch seinen Einfluss vielleicht zu einer der fünf Prozent unkomplizierten Frauen mutiert?
Ich gefalle mir gut in der Rolle der schweigsamen, hin und wieder nickenden und Geborgenheit ausstrahlenden Partnerin. Bisher war noch nie jemand auf die Idee gekommen, bei mir Geborgenheit und Ruhe zu suchen. Mich selbst eingeschlossen.
«Wer schlafen will, sollte sich nicht neben Linda legen», hatte Draco immer gesagt. Tatsächlich war es bislang so, dass mich ausgerechnet immer dann ein unaufhaltsamer Mitteilungsdrang überkommt, wenn jemand neben mir dringend ein Nickerchen machen will. Für mich ist es eben wichtig, das sofort zu besprechen, was mich gerade bedrückt. Und mich bedrücken ja rund um die Uhr alle möglichen Sachen.
Aber neben Johann Berger komme ich kaum zu Wort. Wahrscheinlich ist das bei Führungskräften so. Die müssen den ganzen Tag entscheiden, Angestellte zusammenscheißen, und keiner ist mal nett zu denen, nimmt sie mal in den Arm, sagt ihnen, wie toll sie sind und wie schön sie wieder Arbeitsplätze eingespart haben. Kein Wunder, dass solche Menschen sich abends ihren Tag von der Seele reden müssen und einen Schoß brauchen, in den sie ihr müdes Haupt betten können.
Ich komme mir vor wie ein menschliches Kaminfeuer und nicht – wie sonst meist – wie ein Flutlichtmast mit Wackelkontakt.
Erstaunlich, was so alles in einem steckt, denke ich, kuschele mich an meine Führungskraft und bin begeistert, was für eine hervorragende Zuhörerin aus mir geworden ist. Manchmal höre ich allerdings auch nicht zu, sondern mache nur bestätigende Geräusche. Das reicht ihm vollkommen.
Während Johann Berger über einen stillen Teilhaber seiner Firma spricht, der nicht so still ist, wie er es gerne hätte, versuche ich unauffällig, meinen Bizeps anzuspannen. Ob sich das Training schon bemerkbar macht? Der Mann neben mir hat nichts gesagt, aber das will nicht unbedingt etwas heißen. Diese Entscheider haben ja so viel Wichtigeres im Kopf.
«EIN MUSKEL DULDET KEIN FETT IN SEINER NÄHE!»
Erdal hatte gesagt, dass es in meinem Alter keinesfalls mehr reichen würde, bloß zu joggen.
«Muskelaufbau heißt das Zauberwort. Durch Ausdauertraining nimmst du zwar ab, aber gleichzeitig wird dein Körper schlaff und faltig, und dein Hintern schlappt bis zu den Kniekehlen. Mein P. T. kann
dir das bestätigen.»
«Dein wer?»
«Mein Personal Trainer.»
«Sei jetzt bitte nicht gleich gekränkt, Erdal, aber so wie du aussiehst, wäre ich nie darauf gekommen, dass du einen Personal Trainer hast.»
«Wir sind noch beim theoretischen Teil.»
Zwei Tage später besuchte ich den Kurs «Body Pump» in der «Fitness Company». Die Losung «Ein Muskel duldet kein Fett in seiner Nähe!» hatte mich nachhaltig motiviert. Ich wollte natürlich so straff wie möglich sein, jetzt, wo ich einen zwölf Jahre älteren Geliebten hatte.
Ich fürchte, ich habe in der «Fitness Company» keinen besonders guten Eindruck hinterlassen. Im Kursraum hatte ich mir selbstverständlich einen unauffälligen Platz in der hintersten Reihe gesucht, denn anders als Erdal genieße ich es nicht, wenn mich alle anstarren. Schon gar nicht, wenn ich in Sportbekleidung stecke, die zwar atmungsaktiv ist, aber deutlich nach Altkleidersammlung aussieht.
Ich orientierte mich an den anderen Teilnehmern und holte mir im Geräteraum eine Stange, diverse Gewichte und zwei Klemmen, die das Ganze zusammenhalten sollten.
Da ich nachweislich Probleme habe, Dinge zusammenzubauen, stand ich vor einer nahezu unlösbaren Aufgabe.
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