MP3-Players einfach so durchlaufen lassen. Irgendwelche hochgradig störenden oder verstörenden Titel sind bestimmt dabei. Meine Freundin Christiane zum Beispiel hatte ihrer Nichte zum fünften Geburtstag eine CD gebrannt und dazu einige einschlägige Kinder-Hits auf ihren iPod geladen. Christiane sagt, sie hätte in ihrem Sexualleben keinen beschämenderen Moment erlebt, als sich ein paar Tage später ihr Liebhaber wollüstig auf sie warf, ihr versautes Zeug ins Ohr raunte und plötzlich unterbrochen wurde durch das Lied «Schni Schna Schnappi, das kleine Krokodil».
Entzückt betrachte ich den Mann neben mir. Ich finde, im Schein der Lichterketten, die ich endlich über dem Bett angebracht habe, kommt seine natürliche Anmut noch viel besser zur Geltung.
Johann Berger hat blaue Augen, die größer werden, wenn er von etwas spricht, das ihm gefällt. Mein Lachen zum Beispiel. Meine Ohren, seltsamerweise. Meine Rouladen. Meine neue Unterwäsche hat er leider nicht kommentiert, dabei war die nicht ganz billig und auch überhaupt nicht bequem.
Heute war unsere sechste Verabredung, und ich hatte definitiv alles bereits zweimal getragen, was an Wäsche einigermaßen vorzeigbar war. Also hatte ich mir ein nachtblaues Ensemble mit Spitze gekauft. Aber ich gewinne im Laufe meines Lebens immer mehr den Eindruck, dass Frauen viel mehr von ihrer schönen Wäsche beeindruckt sind als die Männer, die sie damit beeindrucken wollen.
Johann Berger und ich haben tatsächlich schon kleine Routinen entwickelt. Einmal Sex vor dem Essen, einmal danach. Er bringt immer den Wein mit, manchmal auch Blumen. Er bleibt nie bis zum Frühstück, und ich bitte ihn nicht darum.
Gegen elf zieht er sich meist kurz in die Küche zurück, um fünf Minuten mit seiner Frau zu telefonieren. Ich rauche in der Zeit eine Zigarette, mache die Musik und mein Handy aus, um verräterische Geräusche zu vermeiden. Er hat mich nicht darum bitten müssen. Ich bin offensichtlich ein Naturtalent in Sachen Affärenvertuschung. Auch nicht gerade eine Begabung, auf die man mordsmäßig stolz sein kann.
Wenn er von seinem Telefonat zurückkommt, nimmt er mich etwas linkisch in den Arm, ohne mir dabei in die Augen zu schauen – als wolle er sich dafür bedanken, dass ich brav so tue, als sei nix. Als angenehme Geliebte musst du nämlich eine Spitzenkraft sein im So-tun, als sei nix. Mindestens die Hälfte deiner Gefühle darfst du dir nicht anmerken lassen.
Alles ist tabu, was auch nur ansatzweise mit Eifersucht, Besitzanspruch oder Urlaubsplanung zu tun hat. Du darfst ihn nicht einengen, nicht unter Druck setzen. Er soll gern zu dir kommen, weil er weiß, dass du weder nörgelst, wenn er zu spät kommt, noch, wenn er früher als erwartet wieder geht. Er soll gern anzügliche SMS von dir bekommen, weil er weiß, dass du ihm keine Vorwürfe machst, wenn er tagelang nicht dazu kommt, sie zu beantworten.
Vorwürfe sind überhaupt das Allerschlimmste. Eine Geliebte, die einen Vorwurf macht, ist auf dem besten Wege, eine Exgeliebte zu werden. Oder eine Ehefrau.
Ich gehe in meiner Zurückhaltung so weit, dass ich Johann Berger niemals anrufe. Allerdings hatte ich auch schnell festgestellt, dass er sowieso fast nie erreichbar ist.
Will er mich sehen, tue ich an mindestens zwei Abenden der Woche so, als hätte ich bereits etwas vor. Ich will das Bild einer unabhängigen Frau mit knappem Zeitbudget vermitteln, bei der er keine Sorge haben muss, dass sich ihr Leben bald nur noch um ihn dreht.
Für mich wird diese Affäre immer mehr zu einer Höchstleistung in Selbstdisziplin, und ich frage mich, wie er bei meiner zur Schau gestellten Unverbindlichkeit jemals auf die Idee kommen soll, dass ich Verbindlichkeit will und beim Einschlafen darüber nachdenke, wer meine Trauzeugen sein könnten. Erdal scheint mir ein unsicherer Kandidat zu sein, einmal wegen seines unterirdischen Kleidergeschmacks, zum anderen reagiert er auf Anlässe, bei denen er nicht die Hauptperson ist, gerne mal asthmatisch.
Wenn ich für Johann Berger die perfekte Geliebte bin: Wieso sollte er an diesem Zustand jemals etwas ändern wollen? Wenn ich ständig so tue, als wolle ich nicht mehr: Warum sollte er mir dann mehr geben?
Von: Andreas Szabo
Betreff: Re: Hilfe, ich bin so unverbindlich!
Datum: 18. November 14 : 16 : 57 MESZ
An:
[email protected] Hallo, Linda!
Ich habe gerade wenig Zeit, und du kennst meinen Standpunkt bereits. Es gibt nur ein mögliches Happy End für