Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
viele Wenns und Abers, dass so ziemlich alle gewohnten und nötigen Festlegungen versagen. Ein winzig kleines Zelt soll für die, die ganz oben ankommen, die Zeit zwischen den einzelnen Live-Schaltungen etwas erträglicher machen - und das war’s auch schon an Festlegungen und Zeitplänen.
Plötzlich spüren wir alle, wie unberechenbar die Zielplanung für den Kili letztlich ist: Wie wird das Wetter unterwegs beim Aufstieg und in der Gipfelregion sein? Wer von uns wird bis oben durchhalten? Wem macht die Höhenkrankheit einen Strich durch die Rechnung? Es hat schon etwas Ähnlichkeit mit dem Vorgehen von Pfadfindern: der Handschlag, es gemeinsam versuchen zu wollen, und das Versprechen, wenn etwas oder alles schiefgeht, wird es keinen Streit darüber geben, wer oder was an diesem Scheitern schuld ist. Großes Indianer- oder besser: Kili-Ehrenwort!
Bei unserer Bergwandergruppe werden inzwischen die Diskussionen fortgesetzt, wer aus medizinischen Gründen nicht mehr auf die beiden nächsten Etappen gehen soll und wer hier oder spätestens morgen nach der Ankunft auf der 4700 Meter hoch gelegenen Kibo-Hütte Schluss machen soll. Bei diesen Gesprächen spüre ich, wie viel Erwartung und Zuversicht die Teilnehmer auf das Erreichen ihres Ziels gesetzt haben. Eigentlich ist es für jeden ein Traum, oben anzukommen und sich selbst damit zu bestätigen, dass man noch Träume haben kann - egal, ob mit 35 oder 67 Lebensjahren. Gleichgültig, ob mit diesem Traum ein neuer Lebensabschnitt in der Familie oder dem Beruf beginnen soll - alles zielt dabei letztlich auf diese Rückbestätigung, etwas ganz Neues und letztlich nur mit der eigenen Kraft anfangen zu können. Und soll dieser Traum plötzlich ausgeträumt sein, hier auf Horombo in 3700 Meter Höhe, nach monatelangen Vorbereitungen? Ganz pragmatisch wird am Abend dann die Entscheidung getroffen: Erst einmal die Nacht abwarten und dann sehen, wie es am nächsten Morgen aussieht.
Übrigens - geschlafen haben in der Nacht zum Donnerstag eigentlich alle ziemlich gut. Die Praxis vom »hoch wandern« und »tief schlafen« hat sich bewährt... auch bei mir.
Kapitel 14
Traum oder Albtraum?
»Jetzt sind es nur noch vierundzwanzig Stunden, bis der Gipfelanstieg beginnt.«
Beim Aufwachen am anderen Morgen ertappe ich mich dabei, wie ich mit fest geschlossenen Augen die nächsten vierundzwanzig Stunden durchgehe: jetzt noch auf 3700 Metern, dann die geplanten ARD-Liveschaltungen, vorher bei der eigenen Ausrüstung schon aussortieren, was überhaupt in die größere Höhe mitgenommen werden soll.
Dazu gehören der Schlafsack und alles, was noch an warmen Pullovern sowie an dünnen und dicken Handschuhen da
ist. Auch Mütze und Thermoskanne müssen mit. Etwas zum Rasieren und Zähneputzen brauche ich dort oben nicht mehr. Die Stirnlampe - bisher der Wegweiser zu Wasser und Toilette auf dem Hüttengelände - wird nun zum lebenswichtigen Hilfsmittel für den steilen, nächtlichen Weg in die Gipfelregion. Mit an Bord sind auch ein paar Müsliriegel und das »Schmusetuch« für die letzte Nacht - es soll mir beim Träumen helfen, dass dieses Abenteuer auch für mich ein gutes Ende nehmen kann. Dann die dicken, für mein Gefühl viel zu schweren Bergschuhe, die zufällig auch noch den Namen tragen, mit dem die Einheimischen die Kili-Region benennen: »Kibo«.
Und wieder überfällt mich das schon fast beschwörende Durchrechnen: Morgen früh um diese Zeit ist alles entschieden, für jeden in der Gruppe, auch für mich.Wo werde ich am nächsten Morgen den Sonnenaufgang erleben - wie geplant gegen halb sechs Uhr am Gilmans Point, am Beginn der Kili-Gipfelzone?
Zur Morgenwäsche treibt es mich weg von dem wenig attraktiven Waschplatz mit Tröpfelwasser an den Hütten, hin zu dem kleinen Bachlauf im tief eingeschnittenen Tal. Ein Wiesenhang, eiskaltes Wasser - aber eben Wasser pur zum Aufwachen. Ich spüre, wie erleichtert ich über diesen Flecken reiner Natur bin; nun heißt es noch einmal durchatmen, denn schon die paar Meter zurück zu unserer Hüttenunterkunft bringen mich zum Schnaufen.
Es folgt der Abschied von meinen WDR-Kollegen, die mit der Sendezentrale hier weiterarbeiten. Wir klopfen uns gegenseitig auf die Schultern, sie geben uns viele aufmunternde Wünsche mit auf den Weg, der jetzt erst einmal vor uns liegt: von 3700 auf
4700 Meter zur Kibo-Hütte; das werden sicher sieben Stunden werden, für die die Mahnung »Trinken, trinken« ganz besonders wichtig wird. Schon
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