Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
nach unten zur Kibo-Hütte. Auf meinen Bergschuhen rutsche ich links und rechts an Felsvorsprüngen vorbei, die aus der Vulkanasche herausragen, Staubteilchen setzen die Nase zu. Den Rest besorgt die Sonne, die mit jedem Meter, den es weiter nach unten geht, gnadenloser wird. Staub, Hitze und Trockenheit - ein dramatischeres Kontrastprogramm zur Situation am Gipfel kann ich mir kaum noch vorstellen. Also: Tempo!
Die Beine rutschen irgendwie von selbst weiter nach unten. Die Abschnitte mit Vulkanasche hören auf, vor mir sehe ich Erde, Sand und Kieswege - Fantasien eines überhitzten Gehirns?
Schließlich kommen wir an der Kibo-Hütte an, an dem Punkt, von dem aus wir um Mitternacht, also vor dreizehn Stunden, aufgebrochen waren. Jetzt gehören wir zu denen, die vor den Hütten von Neuankömmlingen als »Gipfelmenschen« ausgemacht werden, denen man die Standardfrage stellt, ob wir denn ganz oben waren und wie es mit dem Wetter war. Jetzt sind wir die »Helden«, die denen, die in der nächsten Nacht nach oben wollen, das freundliche »Good luck« mit auf den Weg geben.
Rückkehr in die Wirklichkeit
»Good luck« - hatten wir Glück? War das, was wir seit Mitternacht erlebt haben, Wirklichkeit, oder ist dieser ausgepowerte Zustand - die Haare verklebt, Anorak, Hosen und Bergschuhe verstaubt, abgeschlafft der ganze Körper - der einzige Beweis
dafür, dass wir oben auf dem Kili waren? Keiner von uns hat Lust, jetzt etwas zu essen. Also nur trinken und dann mit dem Rest von Kraft noch einmal in den schäbigen Raum mit seinen zwölf oder vierzehn Schlafplätzen. Kaum einer zieht sich noch viel von seinen Bergklamotten aus; wir, die »Kili-Reste«- stapeln sich auf den Matratzen neben- und übereinander.
Wie Mumien noch einmal in den Schlafsack gewickelt, können die wenigsten von uns schlafen. Wir liegen einfach da und atmen. In meinem Kopf laufen die abenteuerlichsten Filme ab, die sich aus eben Erlebtem, Geträumtem und Actionpassagen der letzten vierundzwanzig Stunden zusammensetzen. Ich realisiere kaum, dass das hier die Kibo-Hütte auf 4700 Metern ist - irgendetwas ist mit mir geschehen.
Die Rückkehr in die Wirklichkeit fällt schwer. Zwei, drei Mal klopft jemand an die Tür des Schlafraums. Doch die englischen Sprachbrocken und die tansanische Zeichensprache wecken sogar Tote auf: Wir müssen raus, auf unsere Matratzen warten schon neue Bergwanderer, die sich auf ihren nächtlichen Aufbruch in Richtung Gipfel vorbereiten wollen.
Auch für uns ist das ein neuer Aufbruch: rein in die verstaubten Bergschuhe, vor der Hütte ungläubiges Blinzeln, die Erkenntnis, dass wir hier die Umgebung der Kibo-Hütte sehen, aber diesmal mit der Blickrichtung nach unten. Elf weitere Kilometer bis zur Horombo-Hütte liegen nun vor uns, und jeder Kilometer verheißt uns, endlich wieder besser atmen zu können. Jeder Kilometer ist jetzt mit der Erfahrung verknüpft, dass Beine und Kniegelenke schlaffer und schlaffer werden. Mehr als dreizehn Stunden sind wir seit Mitternacht gegangen, geklettert,
gerutscht und geschlichen. Wir sind am Ende. Auf den letzten einhundert Metern kommen uns unsere TV-Kollegen, die beim TV-Team auf dieser Höhe gearbeitet haben, entgegen. Sie jubeln, sie gratulieren uns, wir umarmen uns. »Alles wird gut!« oder »Alles ist gut!« - wie banal in einem solchen Augenblick Wiedersehenserlebnisse sein können. Ja - wir waren weit weg und haben etwas erlebt, das in den ersten Stunden und Tagen niemand so recht nacherzählen kann. Ereignisbrocken, atemlos noch einmal wiederholt, eine Geschichte, die bis heute noch kein richtiges Ende gefunden hat.
Woran wird man sich erinnern?
Die Horombo-Hütte auf 3700 Metern. Ein Abend ohne Sentimentalitäten, ein kurzes Abendessen, kein Feiern, kaum Gespräche darüber, was wir auf dem Götterberg erlebt haben. Jeder isst und trinkt nur das Nötigste, dann im Schlafsack ein traumloser Übergang vom Abend und der Nacht in den Morgen, von dem jeder weiß, dass noch einmal »Strecke« gemacht wird - die siebzehn Kilometer bis zum Ausgangspunkt am Marangu Gate. Erinnerungen und Hoffnungen tauchen auf: Auf dem Rückweg wollen wir keinen Nebel, keine Regenwolken sehen, sondern Berge, Bäume und andere Pflanzen. In ein paar Stunden werden wir noch einmal in das heiß geliebte Wegstück durch den tropischen Regenwald eintauchen und uns dann zum Abschied auf 1800 Meter Höhe mit Jesaia, Deo, Remidy, Debbie und Hubert treffen.
Die Träger und Führer aus dem Stamm der Chagga
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