Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
Ausgangssituation für den nächtlichen Start zu erreichen? Nun - ich gehe ganz gezielt bei der nötigen Flüssigkeitszufuhr
vor; am Ende des heutigen Weges werden es sicher fünf Liter Wasser und Tee sein, die ich nicht immer mit großer Begeisterung, sondern eher aus Disziplin gegenüber Huberts und Debbies Anweisungen trinke. Und dann überfällt mich plötzlich Ratlosigkeit, als ich in eine Situation gerate, in der ich den einen oder anderen Mitwanderer oder Kollegen treffe und ihn sagen höre: »Mir geht’s nicht so gut - aber wartet bitte nicht auf mich, ich brauche jetzt ein bisschen Zeit, um wieder zu Kräften zu kommen!« Was um Himmels willen tut man da?
Erst einmal anhalten, kurz nachfragen, ob die Beinmuskeln, das Atmen oder der Kreislauf das Hauptproblem sind... und dann langsam weitergehen. Sich immer einmal wieder umsehen und irgendwann dann neu auf den eigenen Weg konzentrieren. Die Zeit der Hoffnung, durch immer neue Müsliriegel oder Powerdrinks besser voranzukommen, ist nach Überschreiten der 4200-Meter-Grenze wohl vorbei.
Ein bisschen hilflos fühle ich mich in dieser Situation schon, einem Mitwanderer, dem es gerade an dieser Stelle augenscheinlich nicht besonders gut geht, kaum erkennbar helfen zu können. Als »Desert« - Wüste - ist die Wegstrecke, die wir gerade passieren, auf den Karten eingetragen. Das erklärt vieles.
Und als wir gerade davon überzeugt sind, alle Wetterkapriolen auf diesem Wegstück schon erlebt und ausgehalten zu haben - die brutale Hitze, übergangslos abgelöst durch frostige Windböen, wenn sich die Sonne für die nächsten zwanzig Minuten wieder einmal ganz verzogen hat, der Wind, der das Atmen zusätzlich erschwert -, wird uns klar, dass eines noch gefehlt hat. Als wir aus der Ferne das erste Mal die Dächer der Kibo-Hütte
sehen können, setzen unbarmherzige Schnee- und Graupelschauer ein. Mit gesenkten Köpfen und bis über die Ohren hochgezogenen Anoraks schieben wir uns immer näher an die hinter einem Schneevorhang zerlaufende Silhouette der Kibo-Hütte heran, immer weiter scheint sie von uns wegzurücken, zumal auch der Weg an dieser Stelle noch einmal einen kraftraubenden Anstieg präsentiert.
Als Erstes tauchen auf 4700 Meter Höhe die Umrisse einiger Zelte auf. Im Schneegestöber lösen sich nun auch die letzten Illusionen vom strahlenden Blau des Himmels über Afrika und der sonnendurchfluteten Wärme des Landes in Nichts auf. Einige Minuten nach uns kommt Angela - von Debbie, nach Angelas Worten »ihrem Engel«, gestützt - an der Hütte an. Eine Stunde vor uns war sie am Morgen aufgebrochen. Wie ein Wasserfall bricht es nun aus ihr heraus: Das habe man ihr vor Beginn der ganzen Tour nicht gesagt, das sei die reine Quälerei gewesen und nichts, aber auch nichts, was noch mit Erleben, Bergtour und versprochenen schönen Eindrücken zu tun habe. Und ohne Debbies Hilfe, die ihr sogar den Rucksack getragen habe, hätte sie diese Etappe niemals überstanden.
Mit heilen Knochen auf 4700 Meter Höhe
Nach und nach sammeln sich die Teilnehmer unserer Gruppe, fast alle sind völlig geschafft und zu längeren Gesprächen oder Erinnerungsfotos vor der Hütte kaum aufgelegt. Wir werden auf zwei der großen Schlafräume der Kibo-Hütte aufgeteilt
und belegen mit anderen Bergwanderern zusammen zehn oder zwölf Doppelstockbetten. Anschließend gibt es im Essraum heißen Tee und ein paar Kekse, doch knabbern wir eher lustlos noch ein paar Minuten vor uns hin. In der Zwischenzeit treffen Schreckensmeldungen über den Zustand der Gemeinschaftstoilette ein, die rund hundert Meter von der Berghütte entfernt liegt. Dann kennt jeder nur noch ein Ziel: Rauf auf das Matratzenlager, wo ist der Schlafsack, wo der Fleecepullover, nur raus aus der Kälte und zusehen, mit welchen Tricks man den eigenen Körper jetzt überlisten kann.
Ich stelle mir vor, wie gemütlich es nun gleich in meinem Schlafsack werden wird, weit weg von den Eiskristallen der letzten Wegstrecke. Und dann spiele ich wieder das Rechenspiel mit meiner Uhr: Von jetzt, 20 Uhr Ortszeit, an, werde ich noch drei Stunden ausruhen können; schlafen können werde ich sicherlich nicht, dafür ist mein ganzer Körper zu hochgepusht. Aber immerhin - und damit ziehe ich in meinem Kopf und in meinem Herzen meine kleine ganz persönliche Erfolgsbilanz -, immerhin bin ich jetzt auf 4700 Meter, nicht von Engels- oder Menschenhand getragen, sondern durch meine eigene Kraft. Und dabei war ich nicht viel langsamer als das
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