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Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo

Titel: Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Kaul
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alleine vor mich hinstapfte, war ich nur auf den eigenen Weg, den eigenen Atem und den eigenen Körper konzentriert; dies alles ändert sich nun, auf 5685 Meter Höhe, schlagartig. Wie aus einem überlaut eingestellten Radio knallen mir in den ersten Minuten am Gilmans Point Sprachfetzen um die Ohren: englische, französische, japanische und deutsche Rufe, ekstatische Beteuerungen in diesem internationalen Kauderwelsch, alle mit derselben Botschaft: »Ich hab’s geschafft, oh Gott, ich bin oben, wir sind da!«
    Was da, auf eine Fläche von dreißig, fünfunddreißig Quadratmetern verteilt, an Emotionen frei wird, lässt sich schwer beschreiben: Im Halbdunkel greifen Hände nach einem, Menschen umarmen sich, ich entdecke meinen WDR-Kollegen Philip, meine Führerin Debbie, vier, fünf Mitwanderer aus der deutschen Gruppe, deren Weg wir bis hier begleitet haben. Da wird in kurzer Zeit enorm viel an wort- und atemloser Emotion frei.
    Was danach geschieht, ist schon fast wieder Alltagsroutine, wie sie auch beim Erreichen eines Wander- oder Touristenziels irgendwo auf der Welt zu sehen ist, egal ob in den Bergen oder im Flachland: Fotoapparate und Videokameras werden ausgepackt, das beste Fotomotiv wird gesucht, vielleicht ist es diese verwitterte Bank mit den beiden braun-gelben Holzschildern dahinter. Für den, der es noch nicht realisiert hat, ist hier nachzulesen:
»You are now at Gilmans Point - welcome and congratulations!« Allein, mit Freunden, zusammen mit den Trägern - es wird fotografiert, was das Zeug hält, der Hintergrund die noch immer nachtdunkle Himmelswand. Nur an den äußeren Rändern deuten jetzt zarte Farbstreifen in Rot an, dass bald der Morgen beginnt, dass irgendwann an diesem Kälteabhang mit seinen rund achtzehn Grad minus die ersten Anzeichen eines Sonnenaufgangs zu sehen sein werden.
    Nur wenige Minuten später holt uns die normale Geschäftigkeit unseres TV-Jobs ein. Ja, wir sind als TV-Team da, fünf Männer, komplett oben, zwar von der Höhe gezeichnet, aber wohl dennoch fähig, auf dem Kili-Gipfel zu arbeiten. Die Träger mit den eingepackten Kameras, den Stativen und der Funkausrüstung im Rucksack waren schon deutlich vor uns hier; sie reden miteinander, radebrechen mit uns, sind locker und aufgekratzt wie auf dem Markt in Marangu. Sie lachen und finden es richtig gut, dass nicht nur die TV-Ausrüstung oben angekommen ist, sondern auch wir.
    Und schon drängt Debbie, unsere aufopfernde Führerin und Motivatorin: »Moment, wir müssen weiter, auf jetzt zum Stella Point!« Der liegt noch rund einhundert Höhenmeter über uns in der Gipfelregion, eine Dreiviertelstunde Gehzeit müssen wir dafür einplanen, um den Punkt zu erreichen, von dem aus wir die Live-Sendemöglichkeit haben werden... wenn alles gut geht. Hubert, Remidy und die kräftigsten Mitwanderer aus unserer Gruppe sind schon unterwegs; wir anderen hecheln hinterher, hochmotiviert, denn in der Kili-Gipfelzone sind wir ja schon angekommen!

    Sehr, sehr viele Wanderer, die nach dem stundenlangen Aufstieg den Gilmans Point erreicht haben, machen an dieser Stelle mit dem Gipfelanstieg Schluss. Zu wenige Kraftreserven sind noch vorhanden, Kälte und Wind beherrschen dieses Gipfelstück, und eine Chance, an dieser Nahtstelle zwischen Nacht und Tag irgendwo windgeschützt ein paar Minuten auszuruhen und den Erfolg zu genießen, gibt es nicht. Außerdem beschreiben fast alle Reiseführer die Wegstrecke vom Gilmans Point zum Stella Point und weiter zum Uhuru Peak auf 5895 Meter Höhe als zunächst nicht sonderlich attraktiv, da es immer am Kraterrand entlang geht. Deshalb wird es nach dem Gilmans Point wieder ruhiger; ein großer Teil der Bergwanderer macht sich von hier aus rasch wieder an den Abstieg, denn zehn bis fünfzehn Minuten Aufenthalt in dieser Höhe sind genug. So erreichen nur rund zehn Prozent aller Wanderer den höchstgelegenen Punkt des Kili, den Uhuru Peak.

Schnee, Eis und unbarmherziger Wind
    Wir stapfen jetzt eher mechanisch vor uns hin, wie gedopt durch das Hochgefühl, angekommen zu sein. Es ist schon ein erlösendes Gefühl, von nun an mit jedem kleinen Schritt dem »Erlebnis Sonnenaufgang« näherzukommen. Es wird wärmer und heller werden - dass wir uns beim Atmen nach wie vor in einer für uns extremen Situation befinden, nehme auch ich einige Minuten lang kaum wahr. Nach dem nicht enden wollenden Hochsteigen in den Nachtstunden erlebe ich die Strecke
zum Stella Point beinahe wie ein Gehen auf gleicher Höhe,

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