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Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo

Titel: Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Kaul
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dies« und »Lass jenes«, dass ich allmählich Zutrauen gewinne.
    Noch einmal versuche ich, meinen »Gesprächspartner« auf die Probe zu stellen; ich versuche auszuloten, was er mir empfiehlt und was er mir verweigert. Ich lege mit voller Absicht noch eine winzige Tee-Ruhepause ein, ich unternehme absichtlich noch einmal den Versuch, das Tempo etwas anzuziehen, um bei den Leuten in meiner Gruppe zu bleiben... und schon ist sie wieder da, die unüberhörbare Aufforderung zum »slow go«, diesmal verbunden mit dem noch deutlicheren Zusatz: »Das machst du nur noch einmal! Lass das!«
    Lange Zeit später, als ich schon Wochen und Monate wieder zu Hause in Deutschland war, hat dieses Erlebnis des Zwiegesprächs zwischen Kopf und Körper mich nicht zur Ruhe kommen lassen. 67 Jahre musste ich alt werden, auf die Höhe von über 5000 Meter hochhecheln, um etwas zu erleben, das mich zwei Teile der eigenen Existenz spüren ließ. »Ein Gespräch mit
meinem Schutzengel« - so hätte ich es als Kind wahrscheinlich benannt. Als Erwachsener erfahre ich damit etwas Neues über mich selbst, das auch Monate nach dem Erlebnis nicht verschüttet ist. Für mich ein kleines Stück Glück.

Die Anstrengung ins Gesicht gemeißelt
    Beim Weitergehen auf die allmählich näherrückende 5100-Meter-Marke und die Hans-Meyer-Höhle hilft diese neue Erfahrung mir. Ich bin ziemlich erschöpft, aber auch ein wenig »angeturnt« durch die Gewissheit, dass es gleich die erste und wohl einzige Rast auf dem Weg zum Gipfel geben wird. In der schmalen Höhle verteilen wir uns auf engem Raum auf dem Felsboden; eigentlich lässt sich jeder von uns gleich an dem Fleck fallen, an dem er gerade angekommen ist. Remidy, Hubert und Debbie gehen aufmerksam über den Lagerplatz und sehen mit geübtem Blick, wie stabil der eine, wie ausgepowert der andere ist. Geredet wird auch jetzt nicht allzu viel.
    Ich baue mir meinen Ausruhplatz aus einem Felsbrocken im Rücken und meinem Rucksack als zusätzliche Stütze, starre erst ein paar Minuten in die dunkle Runde von Anoraks, Bergschuhen und dem diffusen Licht der Stirnlampen. Wo sind meine WDR-Kollegen, wie sehen sie nach den ersten zurückgelegten 400 Höhenmetern aus? Was spüren sie in dieser Situation, und was sagen sie selbst über sich? Spüren sie Hoffnung oder Verzweiflung? Sind sie skeptisch, was die nächsten Stunden wohl bringen mögen?

    Wir einigen uns auf ein paar Minuten absoluter Ruhe auch für uns, ehe wir mit Kamera und Mikrofon die Runde machen wollen, um etwas darüber zu erfahren, wie Andrea und Titus, wie Dieter, Herrmann und Klaus diesen Knochenanstieg erleben. Auf den Gesichtern kann man akribisch genau das Ausmaß der Anstrengung seit dem Start bei der Kibo-Hütte ablesen; was und wie etwas gesprochen wird, liefert die nächste Information über den Zustand jedes Einzelnen. Philip, mein WDR-Redaktionskollege, steckt das alles auch nicht einfach weg; er, der deutlich Jüngere, und ich unterhalten uns in kurzen Sätzen, bruchstückhaft herausgepustet. Ja, wir machen beide weiter, beide zwar angefressen und unsicher, ob die Kraft reicht, aber versuchen wollen wir es. Die Kameraleute und Techniker? Wir stellen fest, dass es ihnen kaum anders ergeht; auch sie sind geschlaucht, hegen aber weiterhin die Hoffnung, dass es klappen könnte.
    Auf dem kleinen Rundgang zu den anderen aus unserer Gruppe bleibe ich bei den beiden Brüdern Dieter und Herrmann stehen. Ich weiß, dass sie sich vor der Anmeldung zum »Abenteuer Kili« in die Hand versprochen haben, nur gemeinsam auf den Gipfel zu gehen - wenn einer nicht mehr weiter könnte, würde der andere sich mit ihm auf den Rückweg machen. Träume wollte er auch in Zukunft haben, das hatte mir der 52-jährige Dieter vor dem Start vor ein paar Tagen noch versichert. Freude an einer Herausforderung - aber nicht um jeden Preis. Den New-York-Marathon hatte er erst vor zwei Jahren geschafft; sollte jetzt der Weg zum Kili noch weitergehen? Beide Brüder denken auf 5100 Meter Höhe darüber nach, ob es gut gehen wird - beide
werden nur ein paar Minuten nach dem Aufbruch von der Hans-Meyer-Höhle umkehren, denn einen hat die Höhenkrankheit gepackt, und der andere begleitet wie versprochen seinen Bruder auf dem Weg nach unten.
    Hubert erinnert alle noch einmal an den Zeitplan; wir müssen jetzt los, wenn wir bis zum Sonnenaufgang wirklich bis zum Gilmans Point kommen wollen, mit 5685 Metern die erste Position auf der Gipfelkarte des Kilimandscharo.

Umkehren

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