Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
Augenblicken für uns wichtig ist. Wir beide sind jetzt auch überzeugt, dass es für uns trotz Kälte und Höhe am Stella Point weitergehen wird. 5756 Meter hoch sind wir - und »5756 Meter« murmele ich halblaut vor mich hin. Dass ich mein großes Ziel erreicht habe, mit immerhin 67 Jahren hier auf den Kili hochzukommen! Dass wir vom WDR es mit unserem Team geschafft haben, eine Live-TV-Premiere vom höchsten Berg Afrikas zu realisieren - beides begreife ich in diesen Minuten überhaupt nicht. Fast die ganze Zeit, die seit unserer letzten Live-Schaltung vergangen ist, liege ich mit geschlossenen Augen ausgestreckt auf dem Zeltboden und versuche, mich darauf zu konzentrieren, bewusst, gleichmäßig und möglichst tief zu atmen. Nur schemenhaft bekomme ich jetzt mit, dass dieses winzige Zelt in Gelbbraun so etwas wie eine Zufluchtsstätte für diejenigen geworden ist, die jetzt schon längere Zeit auf dem Stella Point aushalten.
Mal sind es unsere Kameraleute und Philip, der WDR-Redakteur, mal zwei oder drei der noch hiergebliebenen Mitwanderer, die hier verschnaufen. Meist sind es fünf oder sechs Menschen,
die sich gegenseitig ein wenig wärmen, ausspannen und versuchen, neue Kraft zu tanken. Das einfache Naturgesetz, dass die Luft in diesem winzigen Zelt keine Spur mehr Sauerstoff aufweist als die Außenluft am Stella Point, scheint außer Kraft gesetzt. Jeder, der sich in dieses kleine gelbbraune Dreieckszelt flüchtet, bekommt hier offensichtlich das, was er so dringend braucht: die Illusion von Geborgenheit, die Erwartung, dass alles gut ausgeht.
Titus, die lebende Skateboardlegende aus dem Münsterland, ist inzwischen von seinem Ausflug zum Uhuru Peak zurückgekehrt. Debbie, die ihn begleitet hat, hielt seinen »Old Fashion«-Sprung mit der Videokamera fest, ebenso seinen erlösten Aufschrei: »Ich hab’s geschafft!« Jetzt kommentiert sie die Aktion ganz nüchtern mit: »Der ist verrückt, richtig verrückt!«... und lächelt ein wenig dazu.
Über den Wolken
Für die nächste Live-Schaltung schäle ich mich wieder aus dem Zeltinneren heraus, krabble in das eisig-schöne Draußen und gehe ein paar Schritte auf das nächste Schneefeld zu. Wind und Kälte haben in künstlerischer Handarbeit Tausende filigraner Eiskunstwerke geformt; dazwischen erinnern mehr als fußballgroße dunkle Lavabrocken daran, dass wir hier an einem Kraterrand und auf Vulkangestein stehen. Tief unter uns hängt eine kilometerweit entfernte Wolkendecke. Wir befinden uns im wahrsten Sinne des Wortes »über den Wolken«.
In Deutschland ist es inzwischen acht Uhr dreißig am Morgen, als Remidy vorsichtig und mit einem verlegenen Lächeln auf mich zukommt. Sich entschuldigend fragt er nach, wie lange seine tansanischen Träger hier noch ausharren müssten. Es dauert schon einige Sekunden, bis ich begreife, dass wir über unsere Fernseharbeit und den eigenen Klimakoller jedes Zeitgefühl verloren, jedes Nachdenken über unseren Job hinaus eingebüßt hatten. Gut, dass Remidy uns klarmacht, dass es nun um die Gesundheit der Träger und um das Risiko für das ganze Team geht.
Die Träger sind es gewöhnt, mit ihren touristischen Begleitern aus Europa oder den USA, mit ihren »clients«, hier hochzugehen und dabei beim Transport der Rucksäcke zu helfen. Am Gipfel angekommen, erleben sie in immer neuen und doch ähnlichen Varianten das Gipfelglück der »clients«: Fotos und Videos mit Berg, mit Jesaia oder Deo, mit Allan oder Alex, allein oder gemeinsam mit den anderen »Gipfelhelden«. Zehn bis fünfzehn Minuten - dann ist dieses Bergritual für die Träger geschafft; sie packen ihre Ausrüstung und kommen auf geheimnisvolle Art immer weit vor den aus der Fremde Angereisten an der Kibo-Hütte an.
An diesem Morgen ist fast alles anders: der Umfang des Gepäcks und der Kameraausrüstung - obwohl die schon auf das Nötigste beschränkt ist -, und dann die nicht enden wollende Aufenthaltszeit in der Gipfelregion!
Seit unserer Ankunft am Gilmans Point und dem Beginn des Aufenthalts am Stella Point sind inzwischen schon zweieinhalb Stunden vergangen. Remidy sagt - wie immer freundlich, nun
aber doch bestimmt -, die Träger müssten jetzt runter, wir wüssten doch, die Luft hier oben... Ich nicke schuldbewusst. Nur noch die letzte Live-Schaltung nach Deutschland, dann machen wir uns an den Abstieg.
Die Zeit, in der der Berg einsam ist
Das bedeutet noch zwanzig Minuten Aufenthalt auf dem Kili. Dabei spüre ich einen heftigen Widerstreit
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