Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo
als Verheißung
Es sind erst ein paar Minuten vergangen, seit die beiden Brüder aus unserer Gruppe nicht mehr bei den anderen sind und sich mit einem der Träger als Begleiter auf den Weg zurück zur Kibo-Hütte gemacht haben. Doch ist das Thema »Höhenkrankheit« seit diesem Augenblick nichts Abstraktes mehr; wohl jeder, der den Abschied von den beiden mitbekommen hat, spürt nun, was es heißt, »ausgeträumt« zu haben.
Das Training der vergangenen Monate - umsonst? Die Gespräche mit Verwandten und Freunden zu Hause, die immer stärker um das eine Thema kreisten, um das »Wir wollen da rauf!« - nutzlos? So läuft nun vor meinem inneren Auge unwillkürlich eine Art Bestandsaufnahme im Zeitraffer ab. Sekundenschnell tauchen Bilder aus dieser Nacht auf: die nach wie vor fast grenzenlose Dunkelheit, kein auch noch so winziges Lichtzeichen, das irgendwo hoch vor mir andeutet, da ist der Gipfel, da hat die Schinderei ein Ende, da wirst du oben sein. Mein
Körper gibt, wenn er zu mir spricht, ziemlich klare Signale: »Du bist am Limit!«, und das Umkehren der beiden Brüder übt plötzlich eine beinahe magische Anziehungskraft auf mich aus! Mit den schon erreichten gut 5200 Metern bin ich weiter und höher gekommen, als ich es vor Beginn der ganzen Unternehmung gedacht hatte. Sich jetzt für ein paar Minuten an einer Wegbiegung auf das Steingeröll setzen, verschnaufen, etwas Ruhe finden, etwas Kraft von woher auch immer zurückbekommen, meinen TV-Kollegen gutes Gelingen für den Gipfel wünschen... und sich dann, nach ein paar Minuten, mit Deo, meinem Träger, Schritt für Schritt nach unten vortasten und dabei spüren, wie das Atmen von Sekunde zu Sekunde leichter wird. Nach ein paar Wegbiegungen merken, wie das Gehen leichter fällt, das Gefühl haben, dass alles auf einmal leichter und dass es wärmer wird, und die Gewissheit haben: Ich habe es überstanden! Tief unter mir wartet eine Berghütte, die Kibo-Hütte; sie verklärt sich in diesem Sekundenfilm zu einem gastlichen Frühstückstempel, in dem es heißen Kaffee und knusprige Brötchen gibt - ich spüre, wie alle Verführungsmechanismen, zu denen meine Fantasie auf 5200 Meter fähig ist, in mir arbeiten. Die Faszination der in Sekundenbruchteilen möglichen Entscheidung: Ich kehre um.
Genau in diesem Moment, in dem ich doch weiter nach oben gehe, obwohl ich in meiner Vorstellung schon die Entscheidung getroffen habe, umzukehren, treffe ich auf einen mir aus der Heimat vertrauten Menschen: Philip. Er hatte mir versprochen, am Gipfel als Reporter einzuspringen, wenn ich nicht weiterkönnte. Und jetzt sehe ich diesen Philip, ein wenig vom Lichtkegel meiner Stirnlampe angeleuchtet, vor mir oder besser unter
mir. Er kauert an einer Wegbiegung im schwarzen Lavageröll, alles in seinem Gesicht ist angespannt, der Körper erschöpft, die Handbewegungen bei unserem kurzen Gespräch, schlaff: Wir versuchen in ein paar Gesprächsfetzen, uns gegenseitig unsere Situation zu beschreiben.
Fast floskelhaft klingt in diesem Augenblick das Hin und Her der Fragen, dieses »Und du?«, dieses »Geht’s noch?«, dieses »Soll ich jetzt bei dir warten?« und das eher hilflose »Was kann ich für dich tun?«
Die Antworten sind ebenso hingekeucht wie die Fragestücke, ein »Ach, lass mal«, »eine Pause, ich muss jetzt eine Pause machen, vielleicht geht’s dann wieder«, »nein, warte nicht - ich sehe dann zu!«. Zwei Gestalten, die in dieser Nacht etwas als gemeinsames Ziel vorhatten, die sich treffen und mit völlig ungewissem Ausgang wieder auseinandergehen. Hätte ich jetzt warten sollen, schießt es mir Sekunden später durch den Kopf, was hätte ich jetzt helfen können, ich, der ich genau an dieser Stelle meinen Fantasiefilm von der erlösenden Umkehr nach unten abgespielt hatte?
Heimat der Götter
Ich gehe, nein, ich schleppe mich weiter, Schritt für Schritt, weiter - nach oben. Zu allem, was mir auf diesen Metern ohnehin durch den Kopf schießt, gesellt sich nun auch noch die Frage, ob ich dann der Einzige von unserer TV-Redaktion sein werde, der oben ankommt und den anderen Reporterfragen auf dem
Gipfel stellen wird. Gehe ich jetzt eigentlich nur noch weiter, um irgendwo da oben meinen heiß geliebten Reporterjob auszuüben? Durch dieses Zwiegespräch mit mir selbst wird mir klar, dass mich nun auch noch etwas anderes bewegt weiterzugehen: Man mag es »Verantwortung« nennen oder »Pflichtbewusstsein«. Im Rückblick erscheint mir dies allerdings eine eher
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