Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo

Titel: Hoehenrausch und Atemnot - Mein Weg auf den Kilimandscharo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johannes Kaul
Vom Netzwerk:
der Gefühle: Über die vielen Jahre im Berufsalltag habe ich mir ein Durchhaltenwollen und Durchhaltenmüssen antrainiert, das funktioniert schon fast automatisch. Doch dann die Erkenntnis: In zwanzig Minuten geht er zu Ende, unser Besuch bei den Göttern des Kili. Der Besuch an einem heiligen Platz, wie es viele aus dem Stamm der einheimischen Chagga glauben. Der Besuch auf einem Berg, von dem Remidys Mutter noch heute annimmt, dass ihr Sohn vielleicht flunkert, wenn er von seinen Bergtouren zum Kili erzählt.
    Noch zwanzig Minuten auf dem Kili, dann werde ich meinen Job gemacht haben und das Mikro an die Kollegen weiterreichen. Dann werden die Kameras und Stative verpackt, ebenso wie die kleine transportable Funkstation. Außer uns, den aufgrund ihres Jobs hier Beschäftigten, sind jetzt nur noch die Träger, Remidy, Debbie und Hubert hier. Alle anderen Bergwanderer, die im Laufe des Morgens auf verschiedenen Routen auf dem Gipfel des Kili angekommen sind, haben den Rückweg schon lange angetreten.

    Noch zwei Minuten bis zu unserer letzten Live-Schaltung. Ich kneife die Augen ein wenig zusammen, um mich noch einmal zu konzentrieren - vielleicht aber auch, um mich in diesen Minuten noch einmal für das zu öffnen, was in den vergangenen zweieinhalb Stunden Traum, was Realität oder was Höhenrausch war - ist?
    Die letzten Worte, die das Moderationsteam aus dem Studio des ARD-Morgenmagazins in Köln an uns gerichtet hat, mögen in etwa diese gewesen sein: »Kommt gut wieder nach unten! Respekt vor eurer Leistung.« Und: »Danke, das war’s.«
    Jetzt stehe ich da; die Kollegen übergeben den Trägern die Kameraausrüstung für den Transport nach unten, Remidy stapft davon. Debbie erzählt noch kurz, wo der Weg nach unten verläuft; zuerst müssen wir zum Gilmans Point, dort wird sie weitere Angaben zumRückwegmachen. Ich schaue mich für ein, zwei Minuten nocheinmalauf der Gipfelfläche um: keine Geräusche mehr, das kleine Zelt, unsere gelbbraune Rettungsinsel, ist schon abgebaut.Menschenleer. Neue Gipfelstürmer werden heute nicht mehr hier ankommen. Das Ritual am Kili sieht vor, den Sonnenaufgang mitzuerleben und sich dann möglichst rasch an den Abstieg zumachen. Jetzt fängt sie also an, die Zeit, in der der Bergeinsam ist, in der der Kili wieder nur seinen Göttern gehört. Doch an dieser Stelle spinne ich den Gedanken ganz bewusst nichtweiter.

Kapitel 18
    Abschied vom Kilimandscharo
    »Der Weg ist das Ziel.« Warum mir auf dem Rückweg Zweifel kommen, ob wir wirklich oben auf dem Gipfel waren...

    Alles in mir schreit jetzt nach Muße, nach Verarbeiten, danach, Gefühle zuzulassen und zu spüren. Die Arme und Beine einfach fallen zu lassen. Luft zu erleben - mit der Perspektive, dass das Atmen nun von Meter zu Meter, von Minute zu Minute einfacher werden wird. Sich jetzt auszutauschen, leise mit den anderen ein wenig darüber zu reden, wie sie die Begegnung mit dem Kili erlebt haben - nichts davon ist machbar.

    Alle bewegen sich in zunehmend rasantem Tempo vom Kili-Gipfel nach unten, wohl vor allem durch die Aussicht angetrieben, dass der Körper dann umso rascher wieder die Luft zum Atmen bekommen wird, die er eigentlich braucht.
    Der Zustand des Weges bis zum Gilmans Point verhindert einen noch überstürzteren Abmarsch nach unten; von hier aus werden Wegstrecke und -tempo freigegeben. Nun erst sehen wir das Zick-Zack und die schmalen Serpentinen, die wir in der Nacht nach oben gegangen sind, mit ihrer heimtückischen Mischung aus festgetretenem oder gefrorenem Sand und den kleinen Vulkansteinchen.
    Debbie, die bei allen Stationen unseres Aufstiegs so sensibel auf die Beschwerden jedes Einzelnen reagiert hat, die jedem Mut gemacht hat, zeigt uns jetzt nur noch die Richtung, in der die Kibo-Hütte liegt. Mithilfe ihrer Bergstöcke zeigt sie uns auch, dass wir den Weg nach unten durch die Felder mit Lavaasche ähnlich wie beim Skilaufen zu bewältigen haben. Dann legt sie los, Staubwolken ziehen hinter ihr her.

Schmerzende Knie und Kraftlosigkeit
    Ich fühle, wie es sich mit jedem Meter, den ich weiter nach unten komme, besser atmen lässt und wie der Kopf freier wird. Gleichzeitig senden meine Knochen und jeder einzelne Muskel Signale, die ich oben am Kili nicht empfangen hatte. Mal sind es die Kniegelenke, die schmerzen, mal habe ich das Gefühl, überhaupt keine Kraft mehr in den Muskeln zu haben. Doch
irgendwie muss auch ich auf diesem aberwitzig verkürzten Weg - gewissermaßen der Direttissima -

Weitere Kostenlose Bücher