Höhepunkte
stand er neben dem Steinway-Flügel, auf dem die Baronessa gerade das Zigeunerlied aus »Carmen« spielte, stellte sich einfach neben sie, legte die Hand mit den kurzgeschnittenen, erdfarbenen Nägeln auf den Ebenholzlack des Flügels und sagte: »Carlo ist fort! Und seine Frau hat er mitgenommen.«
Die Baronessa hört auf zu spielen. Sie blieb noch einen Augenblick so sitzen, mit geschlossenen Augen, die Finger auf den Tasten, und lauschte dem letzten Akkord nach. Die Liebe vom Zigeuner stammt... Dann öffnete sie die Augen und schaute Luigi an.
Sein Gesicht war so enttäuscht, so traurig.
Sie lächelte gerührt. Sie nahm seine Hand zwischen ihre Handflächen und rieb sie leicht. Sie legte diese Hand ganz nah an ihren Busen und spürte, wie seine Finger sich bewegten, wie seine Finger zuckten. Noch nie war seine Hand ihr so nahe gewesen, so nah an ihrer süßen, gepflegten Haut, die nach französischem Puder roch. »Dann gibt es keine Vorstellung mehr für dich, Luigi«, sagte sie. »Kein Rendezvous an der Grotte. Schade, nicht wahr?«
Luigi preßte die Lippen aufeinander und nickte: »Die Leute reden viel im Dorf. Aber keiner weiß genau, warum die beiden fort sind. Nicht einmal die Mutter. Carlo hat mit Renata ge-schrien, in der Nacht. Vielleicht hat er sie auch geschlagen, sagen die Leute.« Er schaute die Baronessa an.
»Geschlagen? Pfui! Wie ordinär!« Die Baronessa erregte sich. »Glaubst du das wirklich? Mit seinen Händen geschlagen? Die nackte Renata?«
»Ich weiß nicht«, sagte Luigi kläglich. »Die Renata kann einem leid tun.«
»Luigi, du Kindskopf! Was tut dir denn leid? Nichts muß dir leid tun! Das Leben ist so, ecco! Das Leben besteht aus Küssen und Schlägen, weißt du. Nichts ist schlimmer als immer nur Küsse und Streicheln und süße Worte, wie schnell das langweilig wird! Spannend ist nur die Abwechslung. Spannend ist nur der Anfang, Luigi. Oder stell dir einmal vor, sie hätten sich nun jede Nacht da in der Grotte der Madonna getroffen. Hätten sich jede Nacht geliebt, er hätte jede Nacht wie ein Kind an ihren großen Brüsten getrunken - wäre das nicht schrecklich langweilig gewesen?«
»Ich weiß nicht«, sagte Luigi leise, und die Baronessa wußte, daß er ganz anders darüber dachte. Jemand, der nicht die aufregenden Anfänge einer Liebe erlebt hatte, sondern nur erst davon träumte, von den ersten Küssen, den ersten Liebkosungen, dem ersten Berühren der Haut, dem ersten Zucken, dem ersten Schrei - der konnte nicht an das Ende denken. Das war für Luigi noch so weit weg, wie der Sonnenaufgang vom Sonnenuntergang entfernt ist.
»Du bist nicht böse mit mir, amore?« Die Baronessa streichelte seinen Handrücken, seinen Arm, zog ihn ein wenig weiter zu sich heran, so weit, daß er den Geruch ihres Parfüms noch stärker spürte, daß die Locken ihrer Haare sein Gesicht kitzelten, ein Gefühl, das sich in seinem Körper fortsetzte bis in seinen Bauch.
»Nicht böse, nein«, murmelte Luigi, schon ganz benommen. »Du weißt, daß ich den Brief geschrieben habe?«
»Ja, ich weiß es«, murmelte Luigi. Dieser Morgenrock aus Seide, den sie trägt. Wie er raschelt, wenn sie die Beine übereinanderschlägt. Wie die Knie glänzen. Wie weiß ihre Haut ist. Wie weich wohl, wie süß...
»Es tut mir leid, amore mio«, sagte die Baronessa, die das Zittern seines Körpers spürte, »wenn ich dich um dein Vergnügen gebracht habe. Aber ich möchte nicht, daß du ein Voyeur wirst.«
»Was ist das, ein Voyeur?«
»Ach, das ist ein Mann, der zuschaut, wenn andere sich lieben. Das ist einer, der Angst hat, es selbst bei einer Frau zu versuchen. Hast du auch Angst davor, mein Kleiner?«
Luigi schluckte. »Ich weiß nicht, Baronessa«, keuchte er. »Ich habe nicht...«
»Das ist auch gut so, mein Kleiner. Der Anfang ist das Allerschönste. Wenn man nichts weiß, wenn man noch gar nichts weiß, dann ist es am aufregendsten. Alles ist neu. Eine Entdeckungsreise. Du hast schöne Lippen, mein Kleiner. So weich. So rund und so voll.« Sie fuhr mit dem Zeigefinger über seine Lippen. Luigi spürte wie seine Knie nachgaben. Er schwankte.
»Und so einen schönen Körper. Dieses Hemd hat deinem Vater gehört, nicht wahr? Es ist zu groß für dich.« Sie fuhr mit der Hand zwischen dem dritten und vierten Knopf unter das Hemd und streichelte seine nackte Brust. »So zart, diese Haut. So jung. Du zitterst so, mein Kleiner. Ist dir kalt?«
»Nein, nicht kalt...«
»Schau mal, wie warm mir ist, hier,
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