Höhepunkte
Augenblick und genießen die Abenddämmerung, ihre Freiheit, den Luxus, den sie sich leisten. Noch sind die Worte keine Dolche, da sie ja die Nacht vor sich haben, und mehrere Tage und mehrere Nächte dazu: ein ganzer Ozean von Zärtlichkeit, aus dem sie Leben schöpfen werden.
»Weißt du, welches die beste Möglichkeit wäre, damit es aufhört?« fragt George.
Naiv zieht Gauvain die linke Augenbraue hoch.
»Wenn wir zusammen leben würden, endgültig. Ich würde dir schnell auf die Nerven gehen, und du bekämst wahnsinnige Wutanfälle...«
»Das sagst du immer«, antwortet Gauvain ärgerlich.
»Ich bin absolut sicher, daß ich dich mein ganzes Leben lang hätte lieben können. Sonst wär’ ich dich schon lange losgeworden«, gesteht er, ohne zu lächeln. »Glücklich bin ich nie, weißt du. Mit Marie-Josée bin ich nicht ehrlich. Daran kann ich mich nicht gewöhnen. Aber ich kann nichts machen. Wenn dran zu denken wäre, tät’ ich mich scheiden lassen.«
George lächelt zärtlich. Im Konjunktiv sagt er so oft »ich tät’«. Aber ist es der richtige Augenblick, ihm zu erklären, daß »ich würde« korrekter wäre? Sie kann ihn nicht unentwegt wie einen dummen Schüler behandeln, es gibt so viele Einzelheiten, die ihr mißfallen. Sie kann es nicht leiden, wenn er vom Kaff, vom Zahnklempner, von seinen Moneten spricht, oder wenn er in die Falle geht oder vom Meer als dem großen Teich redet. Aber was hast du denn? fragt er. Er versteht nicht, was sie daran stört. Das ist ja gerade das Drama der Gesellschaftsschichten, der Vorurteile, der Kultur: Man kann es nicht erklären.
»Im übrigen könntest du mich nicht mehr ertragen«, fährt Gauvain mit sehr sanfter Stimme fort. »Ich weiß, daß ich weit unter deinem Niveau bin - aber es ist komisch, das macht mir nix. Ich mag sogar, wenn du mich verbesserst. Schließlich ist es ja dein Beruf. Zum Beispiel hast du mir das Reisen beigebracht, du hast mir Sachen gezeigt, die ich nie bemerkt hätte, ich wär’ gar nicht auf die Idee gekommen. Unsereins nimmt sich nicht die Zeit dazu. Wir merken gar nicht, daß wir leben!«
»Das stimmt, Lozerech. Apropos leben... Ich erinnere mich daran, daß wir seit mindestens fünf Stunden nicht mehr Knopf und Knopfloch gespielt haben. Du bist doch hoffentlich nicht krank?«
Gauvain lacht laut auf, zu laut, wie ein Mann, der mit Männern lebt. Das einzige Gegengift gegen die Gewißheit, daß sie nie Zusammenleben werden, ist das Lachen. Und eine gewisse Dosis Vulgarität in der Sprache. Gauvain mag es, wenn George manchmal zu handfester Ausdrucksweise übergeht. Das macht sie menschlicher, näher. Zeitweise empfindet er sie als so fremd. »Du willst dir doch nicht etwa... ein bißchen Zeit zum Leben nehmen?« Er schaut sie schräg von der Seite an, ihrer Antwort schon sicher.
»Du bist unmöglich!« sagte George. »Duuh greifst mich immer an, duuh, duuh, duuh...«
»Machst du dich über mich lustig? Duuh, duuh, duuh! Wie sprichst du denn das aus? Ich dachte, ich hätte meinen Akzent verloren mit der Zeit.«
»Wie willst du ihn verlieren, du hörst dich ja nicht. Und dein Leben verbringst du mit Leuten, die den gleichen haben. Aber ich mag ihn ja, deinen Akzent. Wer weiß, welche Rolle er spielt bei dieser absolut schändlichen Anziehungskraft, die du auf mich ausübst?«
Sie fassen sich um die Taille, um das Schließfach Nr. 1718 aufzusuchen. Der Strand ist inzwischen menschenleer, und die Pelikane balgen sich quäkend und klappernd. Nachts glauben die Vögel, sie seien noch bei sich zu Hause, und vergessen Hilton, Holiday-Inn und sonstige Touristennester. Beim Gedanken an den Winter, mit dem sie es in wenigen Tagen wieder aufnehmen muß, hat George plötzlich Lust, noch einmal über den Sand zu laufen. In solchen Fällen setzt sich Gauvain auf die Mole. Dauerlauf oder Gymnastikübungen zu machen, käme ihm nie in den Sinn, und daß andere so was tun, findet er komisch. Sie läuft los über den nassen Sand, manchmal schlägt sie einen Haken und streift mit einem Fuß durch das Wasser, das schäumend den Strand hochzüngelt und sich wieder zurückzieht, als würde es von der hohen See eingesogen; dann kommt es wieder im geheimnisvollen Rhythmus der Wellen, der irgendwie Ähnlichkeit hat mit dem Rhythmus der Liebe - Du denkst wirklich nur an das eine, sagt die Anstandsdame. - Überhaupt nicht. Du verstehst einfach nicht, daß es besondere Augenblicke gibt, in denen alles nur Liebe ist.
Während sie läuft, leichtfüßig,
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