Höhepunkte
das Hämmern der Congas und timbales dräuend wie eine Gewitterwolke, aus der nur hin und wieder eine Trompetenphrase oder ein Klavier-Crescendo emporstieg... Es war schon komisch im Leben: Sie dachte gerade an Nestor Castillo und bewegte sich durch die Menge auf die Bar zu, als sie spürte, wie eine Hand sie sachte am Ellbogen faßte. Und es war Nestor, wie wenn sie ihn hergewünscht hätte. Er ging mit ihr an die Bar, trank ein Glas Whisky und sagte: »Wir müssen noch eine Runde spielen, und danach gehen wir aus, so um drei herum, etwas essen. Warum kommst du nicht mit...? Du kannst meinen Bruder und ein paar von den andern Musikern kennenlernen.«
»Kann ich meine Schwester mitbringen?«
»Cómo no. Wir treffen uns draußen.«
Das große Finale des Abends war der Conga. Der fabelhafte Cesar Castillo kam heraus, eine Congatrommel à la Desi Arnaz über die Schulter gehängt, schlug diese Trommel und führte die Mambo Kings in einen Eins-zwei-drei-eins-zwei-Rhythmus, in dem sie sich dann in einer schlängeligen Conga-Reihe über die Tanzfläche bewegten, hüftstoßend, trippelnd, vorwärtsstolpernd, auseinanderstrebend, beinschlenkernd, hüftschwenkend, lachend und ausgelassen...
Schließlich fuhren sie in Mannys 1947er Oldsmobile uptown, trafen sich dort mit einigen von den anderen Mambo Kings und besetzten ein paar lange Tische im hinteren Teil eines kleinen Eßlokals namens Violeta’s, das der Besitzer nur so lange offenhielt, damit die Musiker, die nach ihren Auftritten ausgehungert Waren, noch zu einem guten Essen kamen. Auf der hinteren Wand war ein tropisches Gemälde in den flammenden Farben eines endlosen kubanischen Sonnenuntergangs, der sich über die Festung El Morro am Hafen von Havanna ergoß. Die Wände über der Bar waren mit signierten Photographien der südamerikanischen Musiker bedeckt, die dort regelmäßig aßen. Alle, vom Flötisten Alberto Socarras bis zum Kaiser des Mambo höchstselbst, Pérez Prado.
In dieser Nacht kamen, während die Mambo Kings und ihre Begleiter dinierten, die bekannten Bandleader Tito Rodríguez vom Tito-Rodriguez-Orchester und Tito Puente, der eine Band namens Picadilly Boys leitete, hereinspaziert, und obwohl Cesar die Stirn runzelte und zu Nestor sagte: »Da kommt der Feind!« begrüßten die Brüder sie, als wären sie lebenslange Kumpel. »Oyeme, hombres! Qué tal?«
Wenn sie die beiden Brüder nebeneinander beobachtete, konnte Delores sich gut vorstellen, wie die beiden waren. Sie waren wie ihre Unterschriften auf der gerahmten Photographie der Mambo Kings an der Wand über der Bar. Ein Photo, auf dem sie in weißen Seidenanzügen auf einem muschelförmigen Art-déco-Podium posierten, neben sich ihre Instrumente. Das Photo war mit den Unterschriften der Musiker bedeckt, die schwungvollste stammte vom älteren Bruder Cesar Castillo, den Delores auf den ersten Blick nicht besonders mochte. Seine Unterschrift verriet die pure Eitelkeit. Voller Schnörkel und Schleifen, so daß seine Buchstaben aussahen wie die windgebauschten Segel eines Schiffes. (Wenn sie ihn nur hätte sehen können, wie er in der La Salle Street am Küchentisch saß, vor sich einen Block, einen Bleistift und eine Schönschreibfibel, und stundenlang seine Unterschrift übte.) Und so war er auch, dachte Delores, lauter heiße Luft und leere Gesten. Er hatte einen schiefen, verschlagenen Zug von Erfahrung um den Mund, dem Delores nicht traute. Platzend vor Energie nach dem abendlichen Auftritt, war der ältere Mambo King ständig in Bewegung, alberte mit seinen Mitspielern herum, redete nur von sich und davon, wie herrlich es sei, auf der Bühne zu stehen, flirtete mit den Serviererinnen und taxierte Delores und Ana Maria auf diese gierige Art. Ihre Schwester anzusehen, die ja ohne Freund hier auftauchte, war eine Sache, aber die neue Gefährtin des eigenen Bruders! Qué cochino! dachte sie. Rüde und eingebildet. Nestors Unterschrift war einfacher und mit mehr Sorgfalt hingesetzt, fast wie die Handschrift eines aufgeregten Kindes, als hätte er lange dazu gebraucht, seine schlichten, bescheidenen Buchstaben richtig hinzukriegen. Er neigte dazu, still dazusitzen, zu lächeln, wenn Witze gemacht wurden, ernsthaft zu nicken, wenn er bestellte oder die Speisekarte durchsah. Und er bemühte sich, mit jedermann gut auszukommen. Er war höflich zur Kellnerin und zu seinen Musikerkollegen. Erwirkte beinahe ängstlich, wegen seiner Tischmanieren getadelt zu werden, während sein älterer Bruder quer
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