Höhepunkte
Prostitution.
Den Huren war von allen Ordnungen erlaubt worden, sich den offenen und verborgenen Wünschen der Männer anzugleichen und dem Geld mit abgestufter Schamlosigkeit zu begegnen. Geschäft ist Geschäft und Moral Form zu wahren.
Bea lächelte Louis Wern zu. Die Klugheit, die seine Züge ausdrückten, und die Anstrengung, die sich mit ihnen verband, weil es sich um eine fleißig angewandte Klugheit handelte, gefielen Bea, denn das Gesicht des über seinen Akten sitzenden Mannes verriet noch jene unterdrückte Sehnsucht, an deren Entfesselung der Frau gelegen war, seit sie entdeckt hatte, was sie damit bewirkte. In den Gesichtern der Männer las Bea alles über ihren
Körper, den Geist und die Seele, und sie erkannte den dankbaren Liebhaber auf Anhieb. Ihr lag weniger an den Männern, die sich offerierten und forsch darauf aus waren, ihr lag mehr an den andern, die sich verbarrikadiert und verpanzert hatten im Kampf um Erfolg und Macht und Geld.
Bea lächelte und gefiel sich in einigen ästhetisch ineinanderfließenden Bewegungen, denen zufolge ihr Kleid höherrutschte, ihre Knie beinahe unanständig auseinanderspreizten und die Augen des Herrn gegenüber das dunkle Grün eines tiefen Bergsees annahmen. Die einander widerstreitenden Parteien fochten ihre Kämpfe in Louis Werns Brust aus, und das wiegende Hin und Her von Sieg und Niederlage prägte sein schönes Männergesicht, das jetzt ein wenig an den Betrachter eines Kriegsfilms oder Fußballspiels erinnerte.
Bea saß lächelnd still und hielt ihre Schönheit dem Betrachter feil.
Der Intercity schlängelte sich durch gewundene Spessarttäler und rüttelte abgebremst übers verschlungene Gleisgewirr eines mittelstädtischen Bahnhofs, wo nicht gehalten wurde und ein paar wartende Fahrgäste standen, die von kleineren Zügen bedient würden und mit kaum verhohlener Sehnsucht dem Fernzug nachblickten. Verdrehte Bewegungen, abschrägende Blickwinkel, und schon war der Intercity am Stadtrand und legte erneut an Geschwindigkeit zu.
Als der Fahrkartenkontrolleur erschien, gab es die ängstliche Verwunderung, den gestockten Augenblick, und keiner der Anwesenden wußte, wie es enden würde. Bea nahm lässig die Knie zusammen, hielt die Ledertasche darauf, zahlte einmal Würzburg, steckte noch achtlos einen Schein dazu, winkte ab und lächelte andeutend.
Dreißig Minuten später, als der IC in Würzburg hielt, erhoben Bea und Louis sich, als handelten sie im offenen Einverständnis, dabei war kein einziges Wort gewechselt worden zwischen ihnen.
Ich, Bea Berondill, 24 Jahre alt, Tochter eines Berliners und einer Frau aus Lyon, aber der Berliner hatte einen Französisch-Schweizer zum Vater und die Mutter eine spanische Mutter.
Ich, Bea, mit neunzehn verheiratet, mit zweiundzwanzig geschieden, Besitzerin eines Mietshauses in Mannheim sowie eines Bankkontos mit fast einer Viertelmillion.
Ich, Bea, abgebrochenes Jurastudium, seither ununterbrochenes Studium der Welt, in der ich lebe. Mein Wagen: Golf GTI, knapp angebraucht gekauft beim Tachostand von 22 000 km, jetziger Stand 95 000 km. Ich fahre viel und weiß bei Antritt einer Fahrt selten, wo ich ankommen werde.
Ich, Bea, von Zeit zu Zeit jobbend, meist unterwegs, befreundet mit manchen, unzuverlässig, zugvogelhaft, im Frühjahr aus dem winterlichen Tiefschlaf aufwachend. »Wissen Sie was? So mieten Sie doch einen Wagen!«
Louis Wern mietete den größten, den sie da hatten, einen Audi 100, die Gänge ruckten und knackten ein wenig, doch fuhr es sich ansonst gut. Bea setzte sich von Anfang an hinters Lenkrad. »Kennen Sie den Spessart im Herbst?«
»Nicht im Frühling und nicht im Herbst.«
»Im Sommer?«
»Nicht im Sommer, nicht im Winter.«
»Damit Sie Bescheid wissen, ich bin geizig«, sagte Bea zu ihm. Da befanden sie sich schon auf der Autobahn Richtung Westen zum Spessart.
»Sie kommen auf für die Unkosten.«
Bea blickte ihn von der Seite an. Er nickte.
»Was haben Sie vor?« erkundigte er sich.
»Und Sie? Können Sie verkraften, daß Ihre wichtigen Termine ins Wasser fallen?«
»Nein. Kann ich nicht.«
»Und trotzdem?«
»Verdammt!« sagte er. »Und was ist, wenn wir immer schneller altern?«
»So schnell!« sagte die Frau und trat das Gaspedal bis unten durch.
»Wir gehen auf die Jagd«, sagte Bea, reichlich nebensächlich. »Sie bekommen alles, nur eines nicht.«
»Was ist das eine?«
»Ich bin das, was Sie nicht kriegen.«
»Und wenn ich kaufe?«
»Geld besitze ich selbst. Ich
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