Höhepunkte
allen Geschäftszweigen aus und besaß eine teils angeborene, teils durch jahrelanges Training ausgebaute Sensibilität für Zahlen.
Es gab Fälle, die in der ganzen Branche berühmt wurden. Die besten Fachleute der Welt hatten sich bemüht und waren nicht weitergekommen.
Louis Wern reiste an, vergrub sich mehrere Tage und Nächte in den Aktenbergen und tauchte danach wieder daraus hervor mit einem knappen Rat und einem stichhaltigen Papier. Noch nie war einer seiner Klienten aufgelaufen, wenn er seinem Rat folgte. Wenn Louis abriet, kaufte man nicht. Riet er zu, wurde gekauft. Die traumhafte Sicherheit der Analysen und Prognosen dieses Fachmanns stand hundertprozentig fest. Sie erhöhte das Einkommen des Mannes mit dem Durchblick in jene abenteuerliche Dimension, wo das Geld den Kapital-Charakter gar nicht mehr abstreift. Mit einem Wort: Louis war das absolute As. Bis zu diesem Mittwoch morgen, wo er abwich vom Pfade der geschäftlichen Tugend.
Von Köln über Bonn und Koblenz bis Frankfurt hatte er allein in seinem Abteil Erster Klasse gesessen.
In der Bundeshauptstadt war es ihm gelungen, ein paar Herren durch ungnädige Blicke davon abzuschrecken, das Abteil zu betreten. Als geübter Intercity-Benutzer besaß Louis ein ganzes Repertoire abschreckender und abweisender Blicke und Gesten. Schon die Haltung, die er einnahm, signalisierte nach draußen auf den Gang, daß es nicht genehm sei zu stören. Diese Art sich mitzuteilen wirkte um so besser, als die meisten Intercity-Benutzer ebenfalls gern ein Abteil allein besitzen.
Wer oft und teuer mit diesen Zügen reist, legt es nicht auf Unterhaltung und Austausch von Höflichkeiten an. Nein, die Mehrzahl der TEE- und IC-Reisenden besteht aus hartarbeitenden Managern, die ihre Unterlagen mit sich führen, um während der Bahnfahrt darin zu lesen und sich Notizen zu machen. Die Bahnfahrt ist für sie eine Spanne Arbeitszeit, auch dies ein Grund, weshalb sie nicht fliegen.
Louis Wern war an diesem Morgen allerdings sehr wie Fliegen zumute.
Obwohl das Abenteuer mit einer Niederlage begann - war es dem deutlich abweisenden Herrn doch nicht gelungen, die Dame davon abzuschrecken, ins Abteil einzudringen.
Ja, sie setzte sich direkt gegenüber, was die Beinfreiheit beengte.
Erst als der Ärger ein wenig abgetaut war, nahm Louis das Bild seines Gegenübers in sich auf.
Seine Nerven begannen zu vibrieren.
Hinter Aschaffenburg, als es in den Spessart hineinging und die Höhen ringsum belaubte Mützen zu zeigen begannen, legte Louis seine Akte beiseite und beschloß mit einem seelischen Ruck, sich dem Leben zu widmen. Was den geschäftlichen und finanziellen Erfolg anging, so hatte er alles bereits erreicht, und seine tief im Herzen verschlossen gehaltene Unzufriedenheit nahm von Tag zu Tag mehr die Konsistenz jenes Sprengstoffs an, der bereits bei kleineren Erschütterungen explodierte.
Auch Berührungen können dazu führen, daß alles in Stücke gerissen wird.
Bea ging manchmal einfach auf den Hauptbahnhof. Oder sie fuhr mit dem Wagen zum Flughafen, parkte in der Abflugebene und schlenderte gemächlich durch die Hallen in der Erwartung, daß etwas geschehen würde.
Bea war jung genug, die Elastizität ihrer Wünsche und Freuden hielt mit der ihres in vielen ekstatischen Lieben durchtrainierten
Leibes Schritt, die lustvolle Biegsamkeit teilte sich in optischen Signalen mit.
Bea war vollkommen unerfahren in den Schmerzen der Liebe und eisern entschlossen, sich ihnen zu verschließen. Dafür hatte sie ihre eigene Methode entwickelt.
An diesem Morgen hatte sie in Frankfurt auf dem Bahnhof gestanden, als der IC von Köln langsam heranrollte. Das Profil eines Gesichts, das Bea sekundenlang erblickte, wurde zum Grund der Reise, die sie antrat, wenn auch ohne Fahrkarte.
Als der Zug hielt, stieg sie ein, zwei Waggons hinter dem Wagen, auf den sie es abgesehen hatte.
Sie wartete geduldig die fünf Minuten, bis der Zug sich erneut in Bewegung setzte.
Jetzt setzte die Frau sich ebenfalls in Bewegung.
Als sie das gesuchte Profil erkannte, ließ sie sich durch die feindselige Haltung des Mannes nicht abschrecken. Ohne ein Wort zu sagen, betrat sie das Abteil und nahm direkt gegenüber Platz.
Bea stand auf Gesichter. Sie waren ihre Schwäche, ihre Stärke, ihre Leidenschaft. In der Jagd nach Gesichtern entwickelte Bea alle jene Kühnheiten, die die Klassen der Männer der Klasse der Frauen untersagt haben, es sei denn, die Frau erkühne sich zum bezahlten Dasein der
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