Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
Er muss schon seit Urzeiten in Hegmafor arbeiten. Früher haben wir ...«
»In Hegmafor gibt es keinen Karlos«, unterbrach ihn Valerian mit fester Stimme. »Ich kenne alle Brüder des Skriptoriums bestens. Mir ist dort nie ein Karlos begegnet.«
Chasts Miene zeigte einen Ausdruck, den Valerian kaum zu deuten wusste. Es war eine Mischung aus Misstrauen und Interesse, Verwunderung und Vorsicht.
Valerian senkte mit einem wohlgewogenen Ausdruck von Demut den Blick. »Wenn Ihr mir gestattet, Hoher Meister: Ich vermute, Ihr wollt mich prüfen. Ich komme tatsächlich aus Hegmafor. Ich habe dort drei Jahre die Alten Schriften studiert. Unter dem Leitenden Skriptor Kandher und danach unter Gelhar. Einen Karlos gab es dort in dieser Zeit auf keinen Fall. Das weiß ich gewiss.«
Chast hob das Kinn und blickte Valerian von noch weiter oben herab an.
»Du bist ziemlich dreist, mein Lieber!«, sagte er scharf. »Um nicht zu sagen: überheblich. Aber dennoch - du hast Recht. Dieser Karlos war nie in Hegmafor. Obwohl es ihn gibt. Wie, sagtest du, hießen deine Vorgesetzten?«
»Kandher und Gelhar, Meister. Kandher starb zwei Jahre, nachdem ich gekommen war, bei einem tragischen Sturz von einer Leiter, als er in den Regalen der alten Katakomben nach verlorenen Schriften suchte. Er war schon alt. Daraufhin übernahm der Skriptor Gelhar seine Aufgaben.«
Chast atmete tief ein. »Soso«, sagte er und erhob sich. Valerian blickte auf und sah Chast hinterher, während dieser zurück zu seinem Platz schlenderte und sich setzte. Valerian war unruhig geworden.
»Hast du eine Vorstellung, warum ich dich zu mir befahl?«, fragte Chast.
Valerian beschloss, sich mutig zu geben. »Ja, Meister«, sagte er.
»Und?«
»Ich vermute, ich bin Euch heute Morgen durch meine Reden aufgefallen. Ob im Guten oder Schlechten, vermag ich nicht zu sagen. Ich glaube jedoch, dass Ihr ein Interesse haben könntet, ein zweites Mal mit mir über meine Vermutungen zu sprechen.«
Chast stieß ein überraschtes Lachen hervor. Trotzdem lag eine unterschwellige Drohung in den Worten, zu denen er anhob. »Ich gebe zu, du überraschst mich, kleiner Skriptor. Woher nimmst du den Mut, so mit mir zu reden?«
»Aus dem Umstand, dass Rasnor mir den Befehl überbrachte, zu Euch zu kommen.«
Chast lehnte sich vor und schüttelte den Kopf. »Unglaublich!«, rief er. »Das musst du mir erklären! Aber sieh dich vor in der Wahl deiner Worte, kleiner Skriptor!«
Chasts Worte hatten erheblich an Schärfe gewonnen, aber Valerian zwang sich, fest zu bleiben. »Nun, Rasnor war gut gelaunt. Ich vermute, weil Ihr, Hoher Meister, zufrieden mit seiner Leistung wart. Ich denke jedoch, dass auch meine Schlussfolgerungen treffend waren. Ich kann mir nicht vorstellen, dass ich zu Euch kommen sollte, weil Ihr mich zurechtweisen wolltet. Das könnte ein Geringerer übernehmen - Rasnor selbst, zum Beispiel. Ich vermute, dass Ihr jetzt, da wir von den Drakken bedroht werden, Eure fähigsten Leute zusammensuchen wollt.«
Chast stieß ein heiseres Lachen hervor.
Dann stand er, wie es seine Art war, mit heftiger Bewegung auf und zeigte mit einem drohenden Finger auf Valerian. »Du bist ziemlich frech, Bursche!«, stieß er hervor. »Woher nimmst du plötzlich den Mut, so mit mir zu reden? Heute Morgen warst du noch ziemlich kleinlaut!«
Valerian leistete sich, einfach nur die Schultern zu zucken. Er hielt den Blick gesenkt.
Chast stand für Momente bebend da, und Valerian fürchtete, dass der berüchtigte Zorn des Hohen Meisters durchbrechen würde. Aber es geschah anders.
Chast beruhigte sich ganz plötzlich wieder. Eilig marschierte er auf das Fenster zu, hob einen der schweren Vorhänge an und warf einen kurzen Blick hinaus. Dann wandte er sich wieder Valerian zu.
»Dein Verhalten macht mich gehörig misstrauisch!«, zischte er mit gefährlichem Unterton. »Wie kommt es, dass ein kleiner Skriptor wie du solche hochtrabenden Gedanken wälzt? Woher willst du wissen, ob ich nach ... fähigen Leuten suche? Vielleicht will ich mich nur derer entledigen, die allzu frei denkend und ohne Disziplin sind? Wie du!«
Valerian schwieg eine Weile auf diese Frage hin. »Wie hat denn Euer Aufstieg in der Bruderschaft begonnen, Meister?«, fragte er dann unter Aufbietung allen Mutes. Dies war der Augenblick der Wahrheit. Entweder würde Chast ihn jetzt zur Hölle jagen oder gar Schlimmeres mit ihm anstellen, oder aber er hatte es geschafft. Chast gestattete sich ebenfalls eine dramatische
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