Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
wird, wirklichen Terror auszuüben. Das ist nicht in meinem Interesse. Wie wir aus Sardins Zeiten wissen, lähmt so etwas die Leistungsfähigkeit der Leute. Ich kann keine völlig verängstigte Bruderschaft gebrauchen. Die Leute sollen Furcht verspüren, sie sollen auf der Hut vor Untreue sein; vor Disziplinlosigkeit und Schlendrian. Aber den Terror eines machtbesessenen Ordensführers zuzulassen, das wäre blanke Dummheit.«
Valerian stieß leise die Luft aus. Spielte Chast ihm hier eine Posse vor? Versuchte er ihn zu verwirren und für seine Zwecke einzuspannen? Valerians Misstrauen kehrte zurück.
»Soviel also zu deinen Befürchtungen, was Rasnor und den Orden von Yoor angeht«, sagte Chast. »Wie steht es nun mit deinen Fortschritten?«
Valerian erhob sich. »Wir kommen gut voran. Zu gut beinahe. Leider aber sind wir auf ein Problem gestoßen. Ein ernstes Problem.«
»So? Und welches ist das?«
Valerian gab sich Mühe, fest zu wirken. »Tja ... es ist dieser Orden. Es ist bei uns zwar noch nichts vorgefallen, aber ich und meine Leute merken, dass sich die Überwachung dieser ... Geheimpolizei in Torgard ausbreitet. Ihr müsst verstehen, Hoher Meister, dass sich meine Leute auf gefährlichem Grund bewegen. Wir sammeln Wissen aller Art, um die Ziele der Bruderschaft zu erreichen, und dabei stoßen wir auf Dinge, die häufig nicht unseren Lehren entsprechen. Es sind sozusagen ketzerische Schriften darunter. Und wenn ich ehrlich sein soll: Es gibt sie in Massen. Meine Leute wissen Dinge, zu denen sonst kein Mensch hier Zugriff hat. Folglich ...«
»Was soll das?«, herrschte Chast ihn an. »Bist du etwa nicht in der Lage, deinen Haufen zu disziplinieren? Wenn das so ist, dann kommt der Orden gerade recht!«
Valerian schüttelte heftig den Kopf. »Ich kann Euch keine brauchbaren Ergebnisse bringen, Hoher Meister, wenn ich mit einem Haufen verängstigter Leute forschen muss! Es sind eben Freigeister - das gehört nun mal dazu! Sie müssen einfach die Möglichkeit haben, auch über andere Lehren, über diese ... ketzerischen Schriften und abwegigen Gedanken sprechen zu können, denn irgendwo dort drin könnte der Hinweis verborgen sein, den wir so dringend suchen! Sie sind gebildet - gebildeter noch als die meisten Magister oder Bibliothekare in der Bruderschaft. Sie lesen vom Morgen bis zum Abend in alten Schriften, geschichtlichen Aufzeichnungen, philosophischen Abhandlungen und ethischen Betrachtungen. Wenn sie den Mund verboten bekommen und sich fürchten müssen, beim Abendmahl im Refektorium ein lockeres Wort zu äußern und infolgedessen sogleich von einem Quästor verhaftet zu werden - dann können wir die ganze Sache gleich aufgeben. Wir werden so niemals die Ergebnisse bringen, die von uns verlangt werden.«
Chast schwieg. Sein Gesicht spiegelte Misstrauen und Unmut.
»Außerdem brauchen wir zusätzliche Freiheit«, fügte Valerian hinzu. »Wir müssen hinaus aus Torgard!«
Chasts Kopf zuckte in die Höhe wie der eines Habichts. »Was sagst du da? Hinaus aus Torgard?« Valerian nickte.
»Unmöglich! Niemand weiß von dieser Festung. Es soll so lange wie möglich geheim bleiben, dass wir sie wieder entdeckt und bezogen haben. Diese jungen Kerle kann ich nicht hinaus lassen. Das ist völlig ausgeschlossen!«
»Aber wir brauchen Rohmaterial! Neue Schriften, Bücher und Folianten. Wenigstens aus Savalgor, aus der Cambrischen Basilika und dem ehemaligen Ordenshaus! Von anderen Orten habe ich schon Schriften angefordert, aber hier - in Savalgor - befinden sich die größten Bibliotheken von ganz Akrania! Allein die Geschichtliche Sammlung im Turm der Stürme ... Wir müssen dorthin!«
»Ich lasse das Zeug herschaffen! Worin liegt das Problem?«
Valerian winkte ab und schüttelte den Kopf. »Wisst Ihr, wie groß die Bibliotheken sind? Wir würden Wochen benötigen, um all die Bücher herschaffen zu lassen. Danach wäre ihre Ordnung zerstört - wir müssten sie neu sortieren. Und schließlich der Platz! Wohin mit diesen hunderttausenden von Folianten, Schriftrollen und Bänden?«
»Wohin? In Torgard ist Platz für eine Million Bücher!«
Valerian lächelte milde. »Ja, Meister, sicher. In Kellern, Sälen und Zimmerfluchten. Aber für Bücher braucht man Regale und eine Ordnung. Es wäre völlig hoffnungslos. Das würde uns Monate, wenn nicht Jahre zurückwerfen. Wenn wir allerdings einfach in die Cambrische Basilika gehen könnten ...«
Chast starrte ihn eine Zeit lang unentschlossen an -dann hob er
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