Höhlenwelt-Saga 02 - Leandras Schwur
Verächtlichkeit. »Valerian, der vielleicht pflichtbewusst, aber doch milde urteilt. Jeder würde wissen, dass er von dir nichts zu befürchten hat, wenn er sich nur halbwegs an die Regeln hält. Und dass selbst auch ein übler Missetäter mit einem schonenden Urteil rechnen könnte, wenn er dir nur ausreichend reumütig erschiene.« Er machte eine Pause, blieb dann stehen und fasste Valerian scharf ins Auge. »Genau das aber brauche ich nicht!«
Valerian hielt die Luft an. Chast war auf seine Weise beeindruckend. Er vermochte Reden zu führen und selbst dann noch überzeugend zu wirken, wenn er höchst zweifelhafte und unmoralische Dinge von sich gab.
»Weißt du, was ich brauche?«, rief Chast plötzlich aus und warf die Arme in die Luft. »Ich brauche einen gemeinen, bösen, rücksichtslosen Dreckskerl, der über Leichen geht, wenn ich es ihm befehle! Vielleicht ist es dir entgangen, dass wir die Bösen Buben sind! Ich weiß nicht, wie du jemals in die Bruderschaft kamst, aber die allermeisten der heutigen Mitglieder sind bereits in unsere Bewegung hineingeboren worden. Schon seit Urzeiten entführt die Bruderschaft junge Frauen und zwingt sie, unseren Nachwuchs auszutragen. Noch bis vor wenigen Jahren wurden alle weiblichen Säuglinge sofort getötet! Die männlichen hingegen wurden schon als Kleinkinder in die Schule der Bruderschaft gesteckt und dort gnadenlos auf das ausgerichtet, was unsere Gesinnung und unsere Ziele sind. Sardin war seit zweitausend Jahren der alleinige Führer und Gesinnungsschmied dieser Bruderschaft, die man draußen, bei den normalen Menschen, früher gar die Schwarze Bruderschaft nannte! Und das nicht ohne Grund. Die meisten der Mitglieder sind bis ins Mark verderbt. Sie sind wahrlich böse, fanatisch und von unsäglichem Hass auf die Gesellschaft geprägt. Dies alles wurde ihnen auf magischem Wege und mit Hilfe der altbekannten Methode, Menschen schon im Kindesalter zu beeinflussen, eingetrichtert! Diesen Leuten kommst du nicht bei, wenn du gerecht zu ihnen bist! Sie sind seit Anbeginn der Zeiten die tödliche Brutalität und Willkür eines Sardin gewohnt! Jetzt, da Sardin tot ist, sind sie sozusagen führerlos! Sie weichen auf, genießen nie gekannte Freiheiten und schrumpfen zu einem Häuflein von verrückten Wirrköpfen zusammen. Wenn jetzt keine Drohung in der Art eines Ordens von Yoor zum Greifen kommt, können wir die Bruderschaft binnen Jahresfrist zu einem ... nun, sagen wir: zu einem Verein der Blumen- und Wanderfreunde umwandeln!«
War Valerian bis jetzt nur erstaunt und durcheinander gewesen, dann traf ihn nun die vollkommene Verwirrung. Das, was Chast da äußerte, machte ihn gewissermaßen zu so etwas wie dem gerechten Meister der Bösen Buben. Valerian schüttelte ratlos den Kopf.
»Aber ... seid Ihr denn nicht selbst ... in die Bruderschaft hineingeboren worden?«, fragte er.
Chast hatte wieder umherzuwandern begonnen und sah Valerian kurz an. »Ich ...? Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Ich kam aus freien Stücken dazu.«
Valerian bemerkte rechtzeitig, dass er sich auf gefährlichem Terrain bewegte. Er stand kurz davor, Chast nach seinen Beweggründen zu fragen, die Bruderschaft anzuführen. Diese Bruderschaft der Bösen Buben. Allein dieses Eingeständnis, das Chast geäußert hatte, erhob ihn über seine Leute und stellte klar, dass er von ganz anderen Motiven geleitet war als sie. Er war nicht im Kindesalter durch die magische Beeinflussung der Bruderschaft gegangen - ihn aber zu fragen, welches denn nun wirklich seine Gründe waren, das Oberhaupt dieser verderbten Gilde zu sein - das war mehr als gefährlich. Einer wie er konnte sich nicht erlauben, einem Untergebenen von seinen wahren Beweggründen zu erzählen. Dieses Wissen weiterzugeben wäre für einen Mann in seiner Stellung viel zu gefährlich. Valerian konnte nur mutmaßen, was dem zugrunde lag. Ein Hass auf die Menschen vielleicht, weil er von brutalen Eltern oder Geschwistern oder Nachbarn misshandelt worden war? Ein Erlebnis in der Kindheit, das seine Weltsicht gefährlich verdreht hatte? Valerian wusste es nicht. Er musste nur feststellen, dass er vom Scharfsinn dieses Mannes auf seltsame Weise beeindruckt war - welche finsteren Beweggründe für sein Tun auch immer er besaß.
»Ich habe bereits jemanden eingesetzt, der Rasnor beobachtet!«, sagte Chast. »So sehr seine Skrupellosigkeit für den Orden nützlich sein kann, so sehr fürchte ich auch, dass er in seiner Machtgier damit beginnen
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