Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
immer.
Er stieß einen klagenden Schrei in die Nacht hinaus, weigerte sich, mit den Flügeln zu schlagen, und musste sich dann in seinem Schmerz in höchstem Maße zusammenreißen, um nicht zu vergessen, dass er zwei Freunde auf dem Rücken trug, für deren Leben er verantwortlich war.
Er ermahnte sich, brauchte Zeit, um sich von diesem entsetzlichen, schwarzen Abgrund der Trauer abzuwenden, der sich vor ihm auftat. Aber dann, als es ihm endlich gelungen war, erklangen die alten Lehren in seinem Kopf; Lehren, die ihm Meakeiok und sein Großvater eingepflanzt hatten. Der Tod Faionas wurde plötzlich zu einer Erkenntnis.
Ein ahnungsloser Beobachter hätte vielleicht glauben mögen, dass einem Drachen der Tod seiner Lebensgefährtin nicht allzu viel bedeutete. Dieser Beobachter wäre allerdings sehr erstaunt gewesen, wenn er mitbekommen hätte, dass Drachen zu einer Regung fähig waren, die man sonst nur von verzweifelten Menschen kannte: Weinen. Tirao vergoss während seines Fluges, dessen Ziel er für etliche Minuten vergaß, bittere Tränen. Es waren Tränen der Trauer und des Verlustes. Zum Glück aber keine der verzweifelten Frage nach dem Warum.
Tirao wusste um die Unerbittlichkeit des Schicksals und das ihm zugrunde liegende Prinzip der Zufälligkeit, deswegen verschwendete er keine Zeit auf die zermürbende Frage nach dem Warum. Das >Schicksal< war nichts anderes als die mystifizierte Verdrehung des >Zufalls<. Der Denkfehler, das wusste Tirao, da Meakeiok es ihm einst erklärt hatte, lag darin, dass der Zufall gemeinhin als etwas Wertloses, als ein Stück unvermeidlichen Abfalls des Laufs der Dinge verstanden wurde. Nutzte er einem, nannte man ihn Glück, schadete er, hieß man ihn Pech. Das waren gemeinhin die Eigenschaften, die zu jenem seltsamen Wesen namens Schicksal hinführten. Dass jemand aus purem >Zufall< etwas Schlechtes (oder etwas Gutes) widerfuhr, nahm dem Zufall als solchem seinen Wert. Sah man aber den Zufall als einen unverzichtbaren, wichtigen und wertvollen Bestandteil des Lebens, dann bedurfte es der Krücke des >Schicksals< nicht mehr, das nichts anderes bedeuten wollte, als dass der >Zufall< gar nicht zufällig war, sondern dass er von einer wissenden Macht gesteuert war.
Nein, Tirao brauchte diese Krücke nicht. Er begriff den Lauf der Welt auf eine andere Weise als die Menschen, und er schätzte sich glücklich, dass er all seine Gefühle und seine innere Kraft für die Trauer und den Schmerz um seine verlorene Liebe hergeben konnte und sich nicht mit der hässlichen und dummen Frage nach dem >Warum< herumplagen musste.
Er weinte während seines Fluges Tränen und es waren heiße und leidenschaftliche Tränen. Erinnerungen spulten sich in seinem Kopf ab, Erinnerungen aus langen Jahren der Freundschaft mit Faiona. Er hatte sie schon gekannt und geliebt, als Leandra noch nicht einmal geboren war. Und eben weil diese Liebe schon so lange andauerte, würde ihm der Schmerz umso länger bleiben. Vielleicht würde er Leandra davon erzählen, sie war seine Freundin. Freunde waren dazu da, einem durch schwere Zeiten zu helfen.
So flog er weiter - in die Tiefe der Nacht hinein.
23 ♦ Himmelsfeuer
Später hätte Victor nicht mehr sagen können, welche Verzweiflung ihn für so lange Stunden an seinen Platz genagelt hatte - die Verzweiflung über Faionas Tod oder die über sein eigenes Schicksal.
Wenige Schritte vor ihm ging es viereinhalb Meilen senkrecht in die Tiefe, und ihm war klar, dass es einfach nicht möglich war, dort hinunterzuklettern. Nicht für einen geübten Kletterer mit Seil und Haken und schon gar nicht für ihn. Es handelte sich um eine fast senkrechte Felswand, die weit oben noch ein Stück überhing. Er hätte es keine zwanzig Ellen dort hinunter geschafft.
Er konnte dem allen ein schnelles Ende setzen, indem er einfach sprang. Es hieß ja, dass man noch während des Sturzes das Bewusstsein verlöre. Er würde hier oben nicht jämmerlich verdursten müssen - wenn es unerträglich wurde, dann stand ihm der Weg in die Tiefe jederzeit offen.
Aber ein gut Teil seiner Qual war der Gedanke an Faiona, seine tapfere Gefährtin, die ihm in vielen Dingen so weit voraus gewesen war. Er zermürbte sich mit Vorwürfen; vielleicht wären sie besser zurückgeflogen oder hätten gewartet - so lange, bis die Drakken irgendwann ihre Suche aufgegeben hätten, selbst wenn es Tage gedauert hätte. Bis dahin aber wäre Quendras sicher tot gewesen, sagte er sich niedergeschlagen und
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