Höhlenwelt-Saga 03 - Der dunkle Pakt
und blieb mit rudernden Armen unmittelbar an der Kante des Abgrunds stehen. Er sprang zu ihr und zog sie zurück - gerade noch rechtzeitig. Das Mahlen des Felsens war ohrenbetäubend, der Durchgang auf der anderen Seite lag schon eine ganze Elle oberhalb des Sockels.
»Die Neun ist falsch«, schrie er. »Folgt mir!«
Es war nur ein Gefühl, ein Gedanke, den er in der kurzen Zeit gar nicht hatte zu Ende denken können, aber er glaubte, dass er ihm irgendwie vertrauen müsse.
Er nahm Anlauf, rannte und sprang mit einem mächtigen Satz auf den zwölften Durchgang zu. Den, durch den sie gekommen waren und der nach allem, was die Prinzipien dieses Labyrinths lehrten, eine massive Wand aus Fels hätte sein müssen.
Victor überschlug sich, als er landete, und gleich hinter ihm purzelten Roya und Quendras herein.
Mit heftig schlagendem Herzen rappelte er sich auf und sah sich um - sie befanden sich offenbar in einem ganz gewöhnlichen Raum des Labyrinths. Keine Todesfalle, kein Monstrum, nur acht ganz normale Durchgänge.
Victor keuchte, versuchte, sein wild pumpendes Herz zu beruhigen. Roya und Quendras erhoben sich und sahen sich um. Dann blieb Roya stehen und deutete auf den Boden. »Da... seht!«, stammelte sie.
Victor und Quendras traten zu ihr und musterten die Stelle, auf die sie deutete. Sie lag knapp vor einem Durchgang und sie konnten, für sie auf dem Kopf stehend, eine in den Boden eingeritzte Zahl lesen: 101.
Victor stieß einen Schrei aus und stieß die Faust in die Luft. »Ich hatte Recht! Verdammt, ich hatte wirklich Recht!« Roya fiel ihm erleichtert um den Hals und Quendras umarmte sie beide.
Victor kämpfte sich frei. »Nein! Du hattest Recht! Du ganz allein, Quendras!«, rief er. »Es war tatsächlich die Zwölf!«
Roya sah zu Victor auf, wusste nicht recht, was er damit sagen wollte.
»Und du, mein kleines Biest«, sagte Victor, »solltest dich bei unserem großen Schwarzmagier entschuldigen!«
Roya zuckte nur die Schultern und sah Quendras an; man hätte ihren Blick herausfordernd nennen können. »Also gut«, sagte sie, »du hast meinetwegen Recht gehabt, aber trotzdem hättest du mich warnen können. Ich meine, bevor du mich in das Labyrinth mitnahmst.«
Quendras studierte ihr Gesicht, dann seufzte er. »Schon gut. Ich entschuldige mich.«
Es war ein seltsamer Anblick - ein so großer, beeindruckender Mann, nicht fern die Tage, dass man vor ihm erzittert war, und nun schien er von einem zierlichen Mädchen wie Roya beherrscht zu werden. Victor seufzte unhörbar. Wahrscheinlich wäre es ihm auch nicht anders ergangen. Roya wusste sehr genau ihre Fähigkeiten, ihre Reize und ihren Verstand einzusetzen. Sie musterte Quendras, wandte sich dann aber, ohne ihm geantwortet zu haben, Victor zu. »Wie bist du auf den zwölften Durchgang gekommen?«, wollte sie wissen.
Victor war kurz davor, sie zurechtzuweisen. So hatte er sie noch nie erlebt, so zurückweisend und nicht bereit zu verzeihen. Was war in sie gefahren? Victor warf einen kurzen Blick in Quendras' Gesicht, aber der Magister der Bruderschaft stand nur mit verdrossener Miene da und warf missmutige Seitenblicke auf Roya.
Victor beschloss, das Thema zu wechseln. »Später, Roya«, sagte er. »Das erzähle ich euch später.« Er hob die in Leder eingeschlagene Rolle, die er in der Hand hielt und drehte sie nach allen Seiten. »Wir sollten uns langsam davon überzeugen, ob das hier auch wirklich der Pakt ist!«
»Wenn er es nicht ist...«, fügte Roya leise hinzu, sagte aber nicht, was sie dann zu tun gedachte. Doch sie verlieh ihrer aller Sorge Ausdruck, er könnte es nicht sein.
Victor wickelte das Pergament aus der dünnen Lederhülle. Schon in dem Augenblick, als es zum Vorschein kam, traten Quendras und Roya unwillkürlich einen Schritt zurück. Victor blickte sie irritiert an, dann nickte er verstehend und versuchte, das Trivocum selbst zu ertasten. Er musste sich nicht lange bemühen. Augenblicke später schon schwappte ein bedrückendes Gefühl über ihn - ein Gefühl, das ihm vertraut war. Er kannte es aus Sardins Turm; es war der gleiche Eindruck, der auch von der riesigen Spirale ausgegangen war, die dort im Nichts hing. Ein schwarzes Loch im Diesseits, ein Tunnel, der irgendwohin, an einen namenlosen Ort führte; einen Ort, an dem andere Gesetze herrschten als hier in dieser Welt. Mit einem Mal wurde ihm die Tragweite des Kryptus bewusst. Diese Magie war ersonnen worden, um zu töten. Viele würden grausam sterben, wenn
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