Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
mit schiefgelegtem Kopf und heruntergezogenen Mundwinkeln an und hob dabei die Schultern und die Handflächen unschuldig nach oben. Dann baute er sich neben Munuel auf und machte eine allumfassende Geste. »Lass uns die alten Geschichten vergessen, großer Magier. Ich würde ein munteres kleines Fest für heute Abend vorziehen. Darf ich euch beiden vorschlagen, euch für kurze Zeit in eure Gemächer zurückzuziehen, um euch frischzumachen? Ich bin sicher, in unseren unerschöpflichen Kleiderschränken findet sich das eine oder andere, um euch bequeme Kleidung für den Abend zu bieten.«
Er klatschte in die Hände, und eine Armee von Pagen strömte herbei. »Husch-husch, meine Lieben!«, rief er und scheuchte sie gleich wieder davon. »Kümmert euch um meine Gäste. Bereitet heißes Wasser für die Bäder, und holt die Maniküren! Es soll an nichts mangeln!«
Leandra fand sich in einem Saal von einem Zimmer wieder. So etwas kannte sie bestenfalls aus Sagen oder Märchen. Die Decke war so hoch, dass man jedes Angadoorer Haus hätte darunterstellen können - und geräumig genug war das Zimmer dazu auch. In einem Kamin brannte ein prasselndes Feuer; die Wände waren mit Wandteppichen, Brokatvorhängen, antiken Waffen und Gemälden behängt. Auf dem Boden lag ein Teppich, in dem sie hätte versinken können, und die Sitzmöbel schienen für Riesen gebaut zu sein. Das gewaltigste aber war das Bett. Leandra hätte darin ihre gesamte Familie unterbringen können, ohne dass jemand den anderen berührt hätte.
Staunend lief sie durch den Raum, inspizierte Kommoden, Truhen, Vasen, Sessel und Tische. Vor einer großen Tür in der Wand machte sie Halt. Irgendwer hatte ihr einmal gesagt, dass man in Burgen und Schlössern keine Schränke besaß, sondern dass es eigene Räume gab, in denen die Kleider hingen. Leandra öffnete die Tür.
Ein Ausruf des Entzückens entfuhr ihr, als sie die Kleiderpracht dahinter entdeckte. Es gab Gewänder, Roben und Ballkleider in allen Farben und Größen, und das geringste davon war dreimal teurer und schöner als ihr Zeremoniengewand, das sie am Tage ihrer Gildenaufnahme getragen hatte. Plötzlich war ihre Müdigkeit wie weggeblasen.
Es klopfte, und eine Schar lächelnder, junger Hofdamen kam herein. Sie wurde ins Badezimmer geführt, wo in einer riesigen steinernen Wanne heißes Wasser dampfte. Flaschen und Phiolen mit Düften und Seifen standen zu Dutzenden auf einer kleinen Galerie. Riesige Spiegel luden zu Schönheitspflege und Maniküre ein, und mehrere Mädchen standen mit Handtüchern und anderen Dingen bereit. Leandra beschloss, sich heute Abend herauszuputzen wie noch nie zuvor. Nicht nur der Kommandant sollte staunen, sondern auch der gute, alte Munuel.
Sie schälte sich aus ihrer Lederrüstung und dem Kettenhemd, das die Hofdamen mit Erstaunen musterten. Dann ließ sie sich in die Wanne gleiten. Was für ein Luxus! Erst einmal hatte sie sich in einem höheren Haus aufgehalten, und das war vor einem halben Leben gewesen. Kein Vergleich zu diesem hier! Wie konnte man nur so viel Geld und Reichtum besitzen, um sich dies alles leisten zu können!
Sie badete ausgiebig, ließ sich sanft abtrocknen und massieren und probierte dann ein halbes Dutzend Düfte.
Zuletzt entschied sie sich aber doch für das Taschmali, das ihr die gute Hilda gegeben hatte. Man reichte ihr seidene Unterwäsche und pflegte ihre Finger- und Fußnägel. Sie wurde mit Jojanta-Öl eingerieben, und ihre Hände tauchte man in warme Mullooh-Milch. Ein weiteres Mädchen kümmerte sich um ihre Haare.
Dann suchte sie sich mit den Mädchen ein Kleid heraus. Sie entschloss sich auf vielfaches Anraten für ein lavendelfarbenes Ballkleid mit tiefem Rückenausschnitt und samtenen Borten. Es passte, als wäre es eigens für sie geschneidert worden. Dann legte man letzte Hand an ihre inzwischen trockenen Haare. Ihr rotbrauner Schopf wurde in vortrefflicher Weise zu einer turmhohen Frisur zusammengesteckt, und kecke Haarkringel fielen ihr über Ohren und Schultern. Die Perlen in ihrem Haar wurden vortrefflich in die Frisur eingewirkt. Nach nicht einmal zwei Stunden war sie soweit. Sie schwebte die Treppe hinab in den Wappensaal der Festung.
Munuel schloss leise die Eingangstür der Bibliothek hinter sich. Er hatte sich eine geschlagene Viertelstunde in der schmalen Nische zwischen einem Bücherregal und einer Zwischenwand verstecken müssen, denn zwei Männer hatten die Bibliothek betreten, die ihn nicht sehen sollten.
So
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