Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
erreichen können.
34 ♦ Bor Akramoria
E s war keine Burg, keine Festung und keine Abtei, nein, Bor Akramoria war einfach Bor Akramoria.
Wahrscheinlich gab es auf der ganzen Welt keinen zweiten Ort wie diesen.
Es erhob sich auf einem steilen Felszinken, der mitten aus der Sturzkante der gewaltigen Wasserfälle aufragte.
Der Felsen selbst erschien zuerst klein, aber Leandra erkannte bald, wie sehr hier die Größenverhältnisse täuschten. Je näher sie kamen, desto deutlicher wurde, dass der Felsen in Wahrheit Platz für eine kleine Stadt bot. Und so etwas Ähnliches war Bor Akramoria auch -eine in sich verschachtelte Tempelstadt mit den abenteuerlichsten Bauwerken, die man sich nur denken konnte. Sie reckten sich auf dem Felszinken noch so weit nach vorn und in die Höhe, dass man glauben mochte, den Erbauern wäre die Lage des Felsens noch nicht verwegen genug gewesen, und sie hätten versucht, mit den spitzen Türmen und Zinnen der Tempelbauten irgendeinen fernen Punkt im Himmel zu berühren.
Leandra war überwältigt von all diesen Eindrücken. Seit sie Tharul verlassen hatten, wurden ihr die Anzahl der Wunder beinahe zu viel. Dabei wäre es nur allzu schön gewesen, sie alle in ihrer ureigensten Art bestaunen zu können. Nein, die Wahrheit war, dass dies alles mit Drohung und Verderben einherging; der gewaltige Anblick dieser uralten Tempelstadt wurde ihr nur aus dem Grunde zuteil, weil die Westreiche und vielleicht die ganze Welt vor einem furchtbaren Abgrund standen.
Je näher sie kamen, desto größer erschien die Stadt. Schließlich konnte sie auch erkennen, dass die Gebäude ziemlich verfallen waren, wenngleich die meisten Türme und Gebäude noch immer zu stehen schienen. Wenn diese Tempelstadt tatsächlich vor über zweitausend Jahren erbaut worden war, dann musste sie aus reinem Granit oder noch härterem Gestein bestehen.
Schließlich waren sie ganz heran, und die Drachen flogen abermals eine Schleife. Leandra konnte den Oberlauf der Ishmar und die umliegende Landschaft in Augenschein nehmen. Ihr Heimatdorf Angadoor hätte auf dem Felsen von Bor Akramoria wohl leicht dreimal Platz gefunden. Er verlief von Osten nach Westen spitz, etwa eine dreiviertel Meile weit, in die Obere Ishmar hinein, die oberhalb der Fälle mit vielen scharfen, aus dem Wasser ragenden Felsen durchsetzt war. Noch viel weiter im Westen, zwischen gewaltig hohen, senkrechten Felswänden, steilen Bergflanken und mächtigen Stützpfeilern, lag ein riesiges, lang gezogenes und blendend helles Sonnenfenster, das sich den Oberlauf des Flusses mit hinaufzog, in Regionen des Ramakorums hinein, die vielleicht seit tausend Jahren kein menschlicher Fuß mehr betreten hatte - wenn dies überhaupt jemals geschehen war.
Die Felsenlandschaft dort oben erschien Leandra so unbändig wild und so weit ab von jeglicher Zivilisation, dass sie sich überhaupt nicht vorstellen konnte, welche Wesen dort leben mochten oder ob es dort überhaupt so etwas wie Bäume oder Gras gab. Von hier aus war jedenfalls nur eine steile Felslandschaft von ungeheurer Wildheit zu erblicken.
Bor Akramoria selbst bedeckte etwas mehr als die vorderen zwei Drittel des Felszinkens. Die Tempelanlage war von einer hohen Mauer umgeben, die hier und da in angrenzende Gebäude und Türme überging. Aller Stein, aus dem Bor Akramoria erbaut war, besaß eine dunkelgraue Färbung; er verstrahlte eine Aura, als habe er schon seit unvordenklichen Zeiten allen Gewalten der Natur und der Menschen getrotzt. Zum Oberlauf des Flusses, nach Nordwesten hin, gab es etliche tempelartige Gebäude, die sich in der Mitte zu einem burgähnlichen Gebilde zusammendrängten. Der mittlere Turm ragte hoch auf, und die Dächer, Erker und Zinnen hatten befremdlich geschwungene Formen, die etwas Abweisendes an sich hatten.
Inmitten der Ruinen lag ein riesenhafter, unregelmäßig geformter Platz, der sich mit einigen flachen Stufen zur Ostseite hin anhob; er maß wohl eine Viertelmeile im Durchmesser und war mit großen steinernen Platten gepflastert. Viele von ihnen waren gebrochen und aufgestellt; unter ihnen hatten sich Gras, Bäume und Büsche hervorgehoben wie auch sonst überall in der Tempelstadt. Auf den Gebäuden wuchsen Ranken und wilder Wein, Wurzelgefecht hing an vielen Stellen herab, und etliche Mauern und Dächer waren eingestürzt.
Auf der Südostseite des großen Platzes, zum freien Himmel hin, der sich jenseits der Sturzkante der brausenden Wasserfälle öffnete, wurden die
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