Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
Dinge, die wahr sind«, flüsterte sie. »Vergiss dein Versprechen nicht.«
Er nickte.
Sie wartete eine Weile. »Ich mag dich«, sagte sie dann.
Das tat ihm gut, und es fiel ihm nicht besonders schwer, diesen Satz zu glauben. Wohl auch deshalb, weil er sich wünschte, dass es so war.
»Alle mögen dich.«
Er stutzte kurz, dachte an Jacko und vielleicht Tharlas ... aber nun ertappte er sich selbst dabei, das, was sie sagte, mit dem Verstand abwägen zu wollen. Nein, er musste ihr einfach glauben. Sie sah die Dinge von außen, hatte vielleicht mit anderen über ihn gesprochen -und sie hatte gesagt, sie würde nur wahre Dinge aussprechen.
Er entspannte sich und nickte innerlich. Ja, er wollte ihr vertrauen. Er nickte bestätigend.
»Du bist sehr klug«, sagte sie dann leise.
Heftige Zweifel stiegen in ihm hoch. Aber schon im nächsten Augenblick, bevor er im Geiste zusammentragen konnte, was alles dagegen sprach, besonders seit gestern Mittag, zwang er sich zur Ruhe. Er verstand immer mehr, was sie vorhatte. Sie wollte ihn belasten und dabei trotzdem dazu bewegen, seinen Verstand abzuschalten.
Seine Gedanken verursachten wilde Wirbel in seinem Kopf, und dennoch gelang es ihm, sie niederzuhalten. Da war Leandra. Er liebte sie, und sie ... liebte ihn auch. Irgendwie. Nein, sie würde ihn nicht anlügen. Er beruhigte sich wieder. Es war ihm plötzlich sehr wichtig, nicht das Vertrauen zwischen ihnen zu brechen, und er gestattete sich nicht, an ihren Worten zu zweifeln. Klug, dachte er. Ja, wenn sie es sagte, dann war es wohl so.
Er nickte wieder und wartete angespannt auf den nächsten Satz.
»Du bist ein sehr gut aussehender Mann.«
Irgendwas versuchte, ihn an der Brust zu packen und hochzureißen. Aber dann hatte er es schon durchschaut. Sie eröffnete ihm den Weg , unmöglich erscheinende Dinge einfach hinzunehmen. Das Mittel war das Vertrauen, das er in sie hatte. Er entschied energisch, dieses Vertrauen nie wieder loslassen zu wollen. Er zwang sich, nur dem Klang von Leandras Stimme zu gehorchen. Noch nie hatte jemand so etwas zu ihm gesagt, und nie hätte er es annehmen können. Er hatte sich immer für hässlich und unförmig gehalten, und niemals wäre ihm in den Sinn gekommen, dass er ein gut aussehender Mann war. Schon gar kein sehr gut aussehender.
»Glaubst du es nicht?«, fragte sie sanft.
Er atmete schwer, spürte aber, wie er ruhiger wurde. Er fand das Vertrauen wieder, das er schon so fest in den Händen gehalten hatte. Also gut, sagte er sich. Du bist ab jetzt einfach ein sehr gut aussehender Mann. Wer könnte es besser wissen als sie?
»Ich glaube dir«, antwortete er leise.
»Wirklich? Es ist wichtig, dass du mir vertraust, Victor«, sagte sie. »Wirf alles über Bord, was du bisher gedacht hast, und glaube einfach, was ich sage. Ich täusche dich nicht. Ich würde es niemals tun.«
Er nickte entschlossen. »Ja, mach weiter. Ich glaube dir wirklich.«
Eine kleine Pause folgte, und er atmete wieder tief und ruhig.
»Du kannst jetzt mein Gesicht sehen, obwohl du die Augen nicht öffnest«, sagte sie.
Zuerst wollte er die Augen öffnen, aber er spürte sanft ihre Hand auf seinen geschlossenen Lidern.
»Ich bin ganz nah über dir, und du kannst mich sehen, ist es nicht so?«
»Ich weiß nicht...«, stammelte er.
»Du hast versprochen, mir zu glauben. Ich täusche dich nicht. Streng deine Gefühle und deine Sinne an. Du siehst mein Gesicht. Es ist ganz nah über dir.«
Er lag ganz still, und die Sekunden verstrichen. Er atmete flach und ließ seinen Verstand irgendwo ganz hinten in seinem Kopf. Er hatte sich darauf eingelassen, ihr zu glauben, und sie hatte geschworen, nur die Wahrheit zu sagen.
Er blieb still, starrte von innen gegen seine Augenlider. Sie musste dort irgendwo sein. Leandra. Die Frau, die ihm mehr bedeutete als jede andere auf der Welt. Ihre Fingerspitzen lösten sich von seinen Lidern. Er spürte ihren warmen Atem und den schwachen Duft ihres Parfüms. Sie war da, nur sehen konnte er sie nicht.
Plötzlich kapierte er es.
Es drehte sich um Dinge, die real waren, die man nur nicht sehen konnte. Nicht, wenn man es sich nicht gestattete. Nicht, wenn man die Welt nur so akzeptierte, wie man sie durch das winzige Fenster seiner eigenen Wahrnehmungsfähigkeit und seiner Vorurteile erblicken konnte. In diesem Augenblick wurde ihm klar, dass es da draußen noch viel mehr geben musste. Zehntausendmal mehr, als seine Augen zu erblicken und sein Verstand zu begründen
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