Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
nicht noch erschweren. Er löste sie von sich, zog ein Taschentuch hervor und tupfte ihr die Tränen weg. Er war selber den Tränen nahe.
»Innerhalb einer Stunde drehte ich dich dann herum. Deine Mutter lag schon in den Wehen.« Er machte eine Pause und blickte in ihre grünen Augen. »Ich glaube, den Schimmer deiner Augen hast du von ihr, weißt du?«
Leandra lächelte ihn an. Sie musste jetzt stark sein. »Ist gut. Nun sag mir schon, was ich machen soll.«
Munuel schüttelte den Kopf. »Das wäre gegen die Regeln. Du musst deinen Weg allein finden. Ich könnte dir Orte großer magischer Ereignisse nennen, aber dadurch würdest du einen Vorteil gegenüber den anderen Adepten haben. Das wäre nicht recht. Aber ich denke, du wirst das auch ohne meine Hilfe schaffen.«
Sie seufzte. »Dann werde ich wohl nach Usmar gehen und von dort mit dem Schiff auf die Wolkeninsel übersetzen«, sagte sie. »Das ist billiger als von hier.«
»Jetzt schon? Weißt du überhaupt, ob sie dich aufnehmen werden?«
»Ich dachte, das wäre für einen Gast-Adepten kein Problem.«
»Ist es normalerweise auch nicht. Nur weiß man nie, ob die Schule noch einen Platz frei hat. Dort wird nur ein Grüppchen handverlesener Jung-Magier unterrichtet. In den Räumen der Schule ist nicht unbegrenzt Platz für Gäste. Aber ich habe noch immer die Hoffnung, dass du dich dort einmal regulär einschreibst.«
Sie winkte ab. »Zwölf Jahre studieren und leben wie eine Klosterschülerin? Nein danke, das ist nichts für mich.«
Munuel lachte. »Ja, das wäre auch irgendwie schade. Der Welt würde in dieser Zeit etwas verloren gehen.«
Sie wusste nicht, wie er das gemeint hatte. Er schwankte immer zwischen ehrlichen Komplimenten und kleinen, wohlgemeinten Seitenhieben. Sie seufzte schwermütig. Immerhin hatte sie nun seine kleine Muschel, und die bedeutete viel für sie.
Dann verabschiedeten sie sich voneinander. Munuel versprach ihr, dass sie sich spätestens in einem Jahr wieder sehen würden.
Als Munuel das Ordenshaus betrat, fand er diesen Ort, an dem sonst nichts als würdevolle Ernsthaftigkeit herrschte, in heller Aufregung vor. Brüder der Gilde eilten über den Hof und durch die Korridore; die Dienerschaft stand unschlüssig herum. Bei den Stallungen auf dem Hof wieherten die Pferde und aus allen Fenstern drang helles Licht. Munuel spürte, dass dies keinesfalls freudige Erregung war. Irgendetwas musste geschehen sein.
»Meister Munuel!« Ein älterer, beleibter Mann im langen Ordensgewand eilte ihm entgegen. »Den Kräften sei Dank, dass Ihr gekommen seid!«
»Bruder Zerbus! Was ist denn hier los?«
Der Mann blieb schnaufend bei ihm stehen. Zerbus war der Bibliothekar des Cambrischen Ordenshauses, ein rundlicher Magier mit Watschelgang, rotem Gesicht und einem priesterlichen Haarkranz. Er hatte sich mit seinen magischen Künsten auf die Erhaltung alter Schriften spezialisiert. Zerbus stand in dem Ruf, selbst ein vollkommen zu Staub zerfallenes Pergament noch retten zu können - vorausgesetzt, der Staub war noch vollständig vorhanden.
»Es ist etwas Furchtbares geschehen, Meister Munuel. Kommt mit, Hochmeister Jockum wird Euch persönlich davon berichten wollen.« Der Ordensbruder wandte sich um und eilte voraus. Munuel folgte ihm über den Hof des Ordenshauses ins Hauptgebäude.
Das Anwesen stand wie eine Hausburg inmitten des Gewirrs der Türme und Erker von Savalgor. Es war eines der ältesten Gebäude der Stadt und verfügte deswegen über den Luxus eines Innenhofes. Die Gildenbrüder hatten sich diesen Vorzug über die Zeiten hin zu wahren verstanden, sodass das Ordenshaus wie in alten Tagen als eine in sich geschlossene Enklave der Magie mitten in Savalgor stand.
Zerbus eilte über die Treppen ins Hauptgebäude und wandte sich in den Ostflügel mit den Gemächern der Ältesten des Cambrischen Ordenshauses. Es ging eine schmale Wendeltreppe hinauf und dann über eine Holzstiege noch höher. Dann betraten sie ein Turmzimmer - die private Studierstube von Hochmeister Jockum, dem Primas des Cambrischen Ordenshauses.
Mehrere Männer erhoben sich. »Munuel! Endlich!«
Ein alter Magier in ihrer Mitte winkte den Ankömmling herbei. Munuel trat hinzu, schenkte seinem alten Gefährten ein Lächeln, verbeugte sich kurz zum traditionellen cambrischen Gruß. »Hochmeister Jockum. Ich freue mich, dich wieder zu sehen!«
Dann umarmten sich die beiden.
Munuel verspürte schon in diesem Moment, dass die zwischen ihnen übliche Herzlichkeit
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