Höhlenwelt-Saga 1 - Die Bruderschaft von Yoor
das andere versuchte, im aufgewühlten, morastigen Boden ein paar braune Grashalme auszurupfen. Sie wirkten auf seltsame Weise apathisch.
Irgendwo hatten sich all die Gestalten verborgen. Leandra war sich klar darüber, dass sie nicht vor Sonnenuntergang wieder auftauchen würden. Bis dahin aber würde sie bewusstlos, wenn nicht gar tot sein. Sie hob den Kopf, suchte das Trivocum und stieß abermals einen verzweifelten Ruf nach Munuel aus.
Die Antwort kam sofort.
Leandra! Ich bin bald bei dir! Halte aus!
Leandra öffnete die Augen. Nein, sie hatte sich nicht getäuscht! Munuel würde kommen, um sie zu holen! Eine warme Woge der Erleichterung strömte durch ihren erschöpften Körper. Sie war überzeugt, Munuel würde diese widerliche Höllenbrut mit einer Handbewegung davonjagen. Munuel war ein Meister - er hatte mehr Kraft als alle Dämonen der Welt zusammen. Nun waren sie gerettet!
»Hellami!«, ächzte sie. »Ich glaube... Munuel ist hier!«
Ihre Freundin sah auf, und ihr Anblick versetzte Leandra einen Stich ins Herz. Sie empfand so viel Liebe für dieses Mädchen, dass sie ihr Leid am eigenen Leib zu verspüren meinte. Hellami versuchte ein Lächeln, aber es misslang. Sie stand kurz vor der Bewusstlosigkeit.
Für Momente ließ Leandra sich niedersinken und ignorierte die Schmerzen in den Handgelenken. Sie musste sich erholen, hatte kaum mehr Kraft. Die nächtliche Fahrt über die Straße nach Savalgor hatte sie vollkommen erschöpft, denn schon zu diesem Zeitpunkt waren sie zwischen die Pfosten gebunden gewesen. Jede Unebenheit der Straße hatten sie ausgleichen müssen, um nicht hilflos hin und her geschleudert zu werden. Das kostete sie alle Kraft, denn die Karawane bewegte sich noch für viele Stunden ohne die kleinste Unterbrechung weiter.
Als ihre Handgelenke stark schmerzten, stemmte sie sich wieder hoch. Sie fror, ihre Hände waren beinahe erstarrt und ihre Füße eingeschlafen. Hoffentlich kam Munuel bald. Lange würde sie es nicht mehr aushalten. Zum hundertsten Male suchte sie die Umgebung ab.
Nein, den riesigen Wagen, in den sie während ihrer mentalen Suche eingedrungen war, konnte sie nirgends entdecken. Eines stand fest: Er war die Triebkraft dieses unheimlichen Zuges. Sie wusste nicht, ob es nur ein Trugbild gewesen war, was sie dort erblickt hatte, oder ob es in seinem Inneren tatsächlich diesen riesigen Raum mit dem Monstrum gegeben hatte.
Ihr Kopf war so leer wie eine hohle Nuss. Ein dröhnender Schmerz waberte in ihrem Hirn. Sie döste kurz ein, obwohl dieser sekundenlange Schlaf ein abruptes Ende finden würde, wenn sie nach vorne sank.
Dann plötzlich hatte sie eine Empfindung. Sie hob den Kopf und starrte in das Zwielicht des Waldes. Für einen Moment sank sie vornüber, aber sie stemmte sich gleich wieder hoch. Sie kniff die Lider zusammen, suchte die Umgebung ab. Und dann sah sie ihn. Dort drüben, auf einem Erdhügel zwischen den Bäumen, stand eine Gestalt.
»Munuel!«, schrie sie auf.
Er hatte sie gefunden. Den Kräften sei Dank, er hatte sie gefunden! Und sie lebte.
Aber sie war nicht allein. Da waren noch zwei, nein, drei andere Gestalten - eine davon eine junge Frau, die anderen konnte er im Moment nicht erkennen.
Als sie ihn erblickte und seinen Namen rief, hob er den rechten Arm, um ihr zu zeigen, dass er sie gesehen hatte.
Aber er blieb noch stehen. Irgendetwas stimmte hier nicht. Das ganze Waldstück war vollgestellt mit Karren und Wagen, aber nirgends war jemand zu sehen. Er hatte die dunkle Magie längst erspürt, die hier am Werke war; aber so, wie Leandra und dieses andere Mädchen dort auf dem Karren festgebunden waren, erschien es ihm allzu deutlich wie eine Falle.
Er suchte mit scharfen Blicken die Umgebung ab, aber er konnte nichts entdecken. Von irgendwo her drang der weit entfernte Schrei eines Onyxdrachen an sein Ohr, dann legte sich wieder unheimliche Stille über die Szenerie. Die Wagen schienen von Magie zusammengehalten zu sein; einige prüfende Blicke ergaben, dass ihr Holz durchweg morsch und verrottet war. Hier in der Nähe dieses seltsamen Zuges war die Aura fremdartiger Magie überwältigend stark. Munuel spähte zu Leandra. Das arme Ding schien völlig erschöpft zu sein.
Er zwang sich zur Vorsicht, so gern er auch zu ihr geeilt wäre, um sie zu befreien. Er hatte kaum eine Vorstellung davon, was hier im Gange war. Es schien sich um eine Art Geisterzug zu handeln. Sie mussten Leandra in der Nacht gefangen haben und dann weitergezogen
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